Au?erdem gehorte dieser Platz, wie allgemein erzahlt wurde, nach Sonnenuntergang der Liebe.
Langsam schlenderten sie uber die flachen Klippen. Nach wenigen Schritten tat sich vor ihnen eine gro?e, flache Mulde auf. Ein idealer, verschwiegener Flecken. Hooper war sehr verliebt, und er genoss es, dass sie hier vollig unbeobachtet waren. Von jenseits der Klippen horte er das Meer. Sie waren weit und breit die Einzigen, wie es schien. Der Strand lag praktisch um die Ecke. Die meisten der romantisch Verliebten waren wohl dort unterwegs, aber das hier war ihre Welt.
Nie im Leben ware Hooper auf die Idee gekommen, dass zwei Beobachter in einem unterirdischen Raum in Buckley Field aus 195 Kilometer Hohe zusahen, wie er seine Frau kusste, mit den Handen unter ihr T-Shirt fuhr und es ihr abstreifte, wie sie seinen Gurtel offnete, wie sie einander auszogen und auf dem Kleiderbundel ineinander verschlungen zu liegen kamen. Er kusste und streichelte Lindas Korper. Sie drehte sich auf den Rucken, und seine Lippen wanderten von ihren Brusten zu ihrem Bauch, wahrend er versuchte, mit seinen Handen moglichst uberall gleichzeitig zu sein.
Sie kicherte. »Nicht. Das kitzelt.«
Er nahm die Rechte von der Innenseite ihres Oberschenkels und kusste sie ungestum weiter.
»Hey. Was machst du denn da?«
Hooper sah auf. Was machte er? Eigentlich tat er nichts anderes als das, was er immer tat, und wovon er wusste, dass es ihr gefiel.
Er kusste sie auf den Mund und fing ihren verwirrten Blick auf. Sie schaute an ihm vorbei. Hooper drehte den Kopf.
Ein Krebs sa? auf Lindas Schienbein.
Sie stie? einen kleinen Schrei aus und schuttelte ihn ab.
Der Krebs fiel auf den Rucken, spreizte die Scheren und kam wieder auf die Beine.
»Mein Gott. Hab ich mich erschrocken.«
»Schatze, er will mitmachen«, grinste Hooper. »Pech gehabt, Junge. Such dir dein eigenes Weibchen.«
Linda lachte und stutzte sich auf den Ellbogen.
»Komischer kleiner Kerl«, sagte sie. »So einen hab ich noch nie gesehen.«
»Was ist so komisch daran?«
»Findest du nicht, dass er komisch aussieht?«
Hooper sah genauer hin. Der Krebs verharrte regungslos auf dem gerolligen Untergrund. Er war nicht besonders gro?, schatzungsweise zehn Zentimeter lang und vollig wei?. Sein Panzer leuchtete auf dem dunklen Boden. Die Farbung war sicher ungewohnlich, aber noch etwas anderes irritierte Hooper. Linda hatte Recht. Er sah komisch aus.
Dann erkannte er, was es war.
»Er hat keine Augen«, sagte er.
»Stimmt.« Sie rollte herum und kroch auf Knien und Handen zu dem Tier, das weiter einfach nur dasa?. »So was! Ob er krank ist?«
»Sieht eher aus, als hatte er nie welche besessen.« Hooper lie? seine Fingerspitzen ihre Wirbelsaule heruntergleiten. »Ist doch egal. Lass ihn, er tut uns ja nichts.«
Linda betrachtete den Krebs. Dann nahm sie ein Steinchen auf und warf es nach ihm. Das Tier wich weder zuruck, noch lie? es sonst eine Reaktion erkennen. Sie tippte gegen die Scheren und zog die Finger schnell wieder weg, aber nichts geschah.
»Der ist ja vielleicht stoisch.«
»Komm, lass den bloden Krebs.«
»Er wehrt sich gar nicht.«
Hooper seufzte. Er hockte sich neben sie, tat ihr den Gefallen und stupste den Krebs an. »Tatsachlich«, stellte er fest. »Hat die Ruhe weg.« Sie lachelte, drehte ihm den Kopf zu und kusste ihn.
Hooper spurte ihre Zungenspitze gegen seine sto?en und sie umspielen. Er schloss die Augen und gab sich dem Genuss hin …
Linda zuckte zuruck.
»Darryl.«
Er sah, dass der Krebs plotzlich auf ihrer Hand sa?, mit der sie sich immer noch abstutzte. Dahinter sa? ein weiterer. Und daneben noch einer. Sein Blick wanderte den Fels hoch, der die Mulde vom Strand trennte, und er glaubte sich in einem Alptraum.
Das dunkle Gestein war unter Myriaden gepanzerter Leiber verschwunden. Wei?e Leiber mit Scheren und ohne Augen, die sich aneinander drangten, so weit man blicken konnte.
Es mussten Millionen sein.
Linda starrte auf die reglosen Tiere. »Oh Gott«, flusterte sie.
Im selben Moment setzte sich die Flut in Bewegung. Hooper hatte schon kleine Krabben uber den Strand flitzen sehen, sonst aber immer gedacht, dass Krebse langsam und behabig dahinstaksten. Doch diese hier waren schnell. Sie waren schrecklich in ihrer Schnelligkeit, wie eine Welle, die auf sie zufloss. Ihre harten Beine verursachten ein leises Prasseln auf dem felsigen Untergrund.
Linda sprang auf, nackt wie sie war, und wich zuruck. Hooper versuchte, ihre Kleidung zusammenzuraffen. Er taumelte. Die Halfte fiel ihm wieder aus den Handen. Das rasende Heer der Krebse machte sich daruber her, und Hooper tat einen Satz nach hinten.
Die Tiere folgten ihm.
»Die tun nichts«, rief er gegen seine Uberzeugung, aber Linda hatte sich schon umgedreht und rannte die Klippen rauf.
»Linda!«
Sie stolperte und schlug der Lange nach hin. Hooper lief zu ihr. Im nachsten Augenblick waren die Krebse uberall, krabbelten uber sie hinweg und an ihnen hoch. Linda begann zu schreien, schrill und panisch. Hooper schlug die Tiere mit der flachen Hand von ihrem Rucken und von seinen Unterarmen. Sie sprang mit verzerrtem Gesicht auf die Fu?e, immer noch schreiend, und fuhr mit den Handen zu ihren Haaren. Krabben liefen uber ihren Kopf. Hooper packte sie und stie? sie vorwarts. Er wollte ihr nicht wehtun, er wollte nur, dass sie aus der nicht enden wollenden Lawine herausfanden, die sich uber die Klippen ergoss, aber Linda stolperte erneut und riss ihn mit sich. Hooper verlor den Halt. Er schlug auf und spurte die kleinen, harten Korper unter seinem Gewicht zerbrechen. Splitter drangen schmerzhaft in sein Fleisch. Er schlug um sich, spurte, wie hunderte spitzer Fu?e uber ihn hinweghuschten, sah Blut an seinen Fingern und schaffte es endlich, hochzukommen und Linda mit sich zu ziehen.
Irgendwie gelangten sie nach oben. Chitin knackste unter ihren Fu?en, als sie nackt zu der Harley rannten. Hooper wandte im Laufen den Kopf und stohnte auf. Von der erhohten Warte des Leuchtturms konnte er sehen, dass der komplette Strand von Krebsen nur so brodelte. Sie kamen aus dem Meer, unzahlige von ihnen und immer neue. Die ersten hatten den Parkplatz erreicht und schienen auf dem glatten Untergrund noch schneller zu werden. Hooper rannte aus Leibeskraften, Linda mit sich zerrend. Seine Fu?sohlen steckten voller Splitter. Widerwartiger Schleim klebte an seinen Fu?en. Er musste Acht geben, nicht auszurutschen. Endlich erreichten sie das Motorrad, sprangen auf den Sattel, und Hooper betatigte den Anlasser.
Sie rasten los, aus der Umfriedung des Parkplatzes auf die Stra?e, die nach Southampton fuhrte. Das Motorrad schlingerte wild im Matsch uberfahrener Krebse, dann waren sie aus dem Gewimmel raus und schossen den Asphalt entlang. Linda krallte sich an ihm fest. Ein Lieferwagen kam ihnen entgegen, hinter dem Steuer ein alter Mann, der ihnen unglaubig entgegenstarrte. Hooper dachte kurz, dass man solche Szenen sonst nur in Filmen sah — zwei Leute splitternackt auf einem Motorrad. Ware alles nicht so schrecklich gewesen, hatte er sich totgelacht uber die Situation.
In Sichtweite tauchten die ersten Hauser von Montauk auf. Der ostliche Zipfel von Long Island war wenig mehr als ein schmaler Streifen, und die Stra?e verlief parallel zur Kuste. Noch wahrend Hooper auf Montauk zuhielt, sah er, dass sich von links die wei?e Flut der Krebse naherte. Wie es aussah, kamen sie auch an anderer Stelle aus dem Meer. Sie ergossen sich uber die Klippen und hielten auf die Stra?e zu.
Er beschleunigte die Harley.
Die wei?e Flut war schneller.
Wenige Meter vor dem Ortseingangsschild erreichte sie die Fahrbahn und verwandelte den Asphalt in ein Meer aus Leibern. Zugleich setzte ein Pickup ruckwarts aus einer Toreinfahrt. Hooper merkte, wie die Harley ins Schleudern geriet, und versuchte, den Pickup zu umfahren, aber das Motorrad gehorchte ihm nicht mehr.