Fortgesetzt hallten Explosionen ubers Meer und durch die Ruinen der Kustenstadte. In das Schreien und Weinen der Uberlebenden mischten sich Hubschrauberdrohnen, Sirenengeheul und Lautsprecherdurchsagen. Es war eine Kakophonie des Grauens, doch uber all dem Larm lag eine bleierne Stille. Die Stille des Todes.

Drei Stunden vergingen, bis die letzte Welle zuruck ins Meer geflossen war.

Dann rutschte der nordliche Kontinentalhang ab.

ZWEITER TEIL

CHATEAU DISASTER

Aus den Jahresberichten der Umweltschutzorganisationen:

Trotz des Verbots von 1994 gelangt nach wie vor Atommull in die Meere. Greenpeace-Taucher wiesen am Abflussrohr der franzosischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague eine 17 Millionen Mal hohere Radioaktivitat nach als in unbelasteten Gewassern. Vor Norwegen sind Tang und Krabben mit dem radioaktiven Stoff Technetium verseucht. Als Quelle identifizierten norwegische Strahlenschutzer die veraltete britische Wiederaufbereitungsanlage Sellafield. Indes wollen amerikanische Geologen hoch radioaktiven Mull im Meeresboden versenken, indem sie die strahlenden Behalter durch ein kilometertiefes Rohr in Locher rutschen lassen und mit Sedimenten bedecken.

Seit 1959 haben die Sowjets gewaltige Mengen Atommull inklusive abgewrackter Reaktoren im arktischen Meer deponiert. Uber eine Million Tonnen chemischer Waffen rotten auf den Meeresboden vor sich hin, in Tiefen zwischen 500 und 4500 Metern. Als besonders gefahrlich gelten langsam durchrostende Giftgasbehalter, die Moskau 1947 versenken lie?. Hunderttausend Fasser schwach radioaktiver Abfalle aus Medizin, Forschung und Industrie lagern vor Spanien.

Plutonium aus den Atombombentests in der Sudsee wiesen Meeresforscher im mittleren Atlantik in mehr als 4000 Metern Tiefe nach.

Der britische hydrographische Dienst listet 57435 Wracks in den Tiefen der Ozeane auf, darunter auch die Trummer mehrerer amerikanischer und russischer Atom-U-Boote.

Das Umweltgift DDT gefahrdet Meeresorganismen starker als andere Lebewesen. Durch die Stromungen breitet es sich global aus und reichert sich in marinen Nahrungsketten an. Im Speck von Pottwalen sind Polybromverbindungen nachgewiesen worden, die als Brandhemmer in Computern und Fernsehverkleidungen verarbeitet werden. 90 Prozent aller gefangenen Schwertfische sind mit Quecksilber vergiftet, 25 Prozent zudem mit PCB. In der Nordsee wachsen weiblichen Wellhornschnecken Penisse. Ausloser durfte die in Schiffsanstrichen enthaltene Substanz Tributylzinn sein.

Jede Olbohrung verseucht den Meeresboden auf einer Flache von 20 Quadratkilometern. Ein Drittel davon ist nahezu ohne jedes Leben.

Elektrische Felder von Tiefseekabeln storen die Orientierung von Lachsen und Aalen. Zudem beeintrachtigt der Elektrosmog das Larvenwachstum.

Algenbluten und Fischsterben nehmen weltweit dramatisch zu. Nachdem Israel das Verbotsabkommen zur Verklappung von Industriemull auf See nicht unterzeichnete, entlie? allein die Firma Haifa Chemicals bis 1999 jahrlich 60000 Tonnen Giftabfalle ins Meer: Blei, Quecksilber, Cadmium, Arsen und Chrom gelangen mit der Stromung bis Syrien und Zypern. Taglich pumpen Fabriken am Tunesischen Golf 12800 Tonnen Phosphatgips aus der Dunger-Herstellung ins Meer.

70 der 200 wichtigsten Meeresfischarten beziffert die Welternahrungsorganisation FAO als gefahrdet. Zugleich nimmt die Zahl der Fischer weiter zu. 1970 waren es 13 Millionen, 1997 schon 30 Millionen Fanger. Verheerend wirken sich Grundschleppnetze aus, die zum Fang von Kabeljau, Sandaal und Alaska-Seelachs eingesetzt werden. Ganze Okosysteme werden buchstablich hinweggefegt. Meeressauger, Raubfische und Seevogel finden keine Beute mehr.

Bunker C, der meistgenutzte Schiffstreibstoff, wird vor der Verfeuerung von Aschen, Schwermetallen und Sedimenten gereinigt. Ein zaher Mull entsteht, den viele Kapitane nicht ordnungsgema? entsorgen, sondern stillschweigend auf See verklappen.

In 4000 Metern Tiefe vor Peru haben Hamburger Forscher die geplante gro?kommerzielle Ernte von Manganknollen simuliert. Kreuz und quer schleppte ihr Schiff eine Pflugegge uber ein 11 Quadratkilometer gro?es Stuck Meeresboden. Zahlreiche Lebewesen starben. Noch Jahre spater hatte sich die Region nicht erholt.

Durch Bauvorhaben in den Florida Keys wurde Erdreich ins Meer gespult, das sich wie Flugsand auf die Korallenbanke legte. Ein Gro?teil des dortigen Lebens ist erstickt.

Meeresforscher fanden heraus, dass steigende Kohlendioxid-Konzentrationen in der Atmosphare, verursacht durch die zunehmende Verbrennung fossiler Rohstoffe, die Fahigkeit zur Riffbildung behindern. Wenn sich das CO2 lost, macht es das Wasser saurer. Ungeachtet dessen wollen die gro?en Energiekonzerne demnachst gewaltige Mengen CO2 direkt in die Tiefsee pumpen, um die Atmosphare zu entlasten.

10. Mai

Chateau Whistler, Kanada

Die Nachricht verlie? Kiel mit 300000 Kilometern in der Sekunde.

Der Wortlaut, eingegeben von Erwin Suess in dessen Laptop am Geomar-Forschungszentrum, wanderte als digitale Datenmenge ins Netz und wurde von einer Laserdiode in Lichtpulse umgewandelt. Von nun an schoss sie mit einer Wellenlange von 1,5 Tausendstelmillimeter infrarot durch ein hochtransparentes Glasfaserkabel, zusammen mit Millionen weiterer Telefongesprache und Informationspakete. Die Faser bundelte das Licht auf einem Durchmesser von doppelter Haaresstarke und reflektierte es von den Au?enrandern ins Innere, um es nicht entweichen zu lassen. Rasend schnell pflanzten sich die Wellen uber Land fort bis zur Kuste, jagten alle 50 Kilometer durch einen optischen Verstarker, bis die Faser im Meer verschwand, umhullt von einem Kupfermantel und verpackt in mehrere Lagen kraftiger Drahte und weicher Isolierschichten.

Unter Wasser hatte der Strang die Dicke eines kraftigen Mannerunterarmes. Er zog sich uber den Grund des Schelfs, eingegraben in den Boden, um ihn vor Ankern und Fischernetzen zu schutzen. TAT 14, so die offizielle Bezeichnung, war eines der Transatlantikkabel, die Europa mit dem amerikanischen Kontinent verbanden. Es gehorte zu den leistungsfahigsten Kabeln der Welt. Allein im Nordatlantik lagen Dutzende solcher Kabel.

Hunderttausende Kilometer Glasfaser bildeten weltweit das Ruckgrat des Informationszeitalters. Drei Viertel ihrer Kapazitaten dienten dem World Wide Web. Das Projekt Oxygen verband 175 Lander in einer Art Superinternet. Ein anderes System bundelte acht Glasfasern zu einer Ubertragungsleistung von 3,2 Terabits, was 48 Millionen gleichzeitig gefuhrter Telefonate entsprach. Langst hatten die filigranen Fasern in den Tiefen der Meere jeder Satellitentechnik den Rang abgelaufen. Der Erdball war umschlungen von einem Geflecht Licht leitender Drahte, in denen die Bits und Bytes der Kommunikationsgesellschaft in Echtzeit kursierten, Telefonate, Videos, Musik, E-Mails. Nicht die Satelliten, die Kabel schufen das globale Dorf.

Die Nachricht von Erwin Suess schoss zwischen Skandinavien und Gro?britannien nordwarts. Oberhalb Schottlands wandte sich TAT 14 nach links. Jenseits des Hebridenschelfs hatte es sich nun uber den tiefer gelegenen Meeresboden schlangeln mussen, nicht langer eingegraben, sondern offen daliegend.

Aber es gab keinen Schelfrand mehr und auch keinen Meeresboden.

Unter Gigatonnen von Schlamm und Geroll passierte die Nachricht aus Kiel knapp eine hundertzwanzigstel Sekunde, nachdem sie abgeschickt worden war, das Gebiet unterhalb der Faroer-Inseln und endete in einem zerfetzten Strang. Die robuste Umhullung mit ihren verstarkenden Drahten und flexiblen Kunststoffschichten war glatt durchtrennt, die zersplitterten Fasern leiteten die Botschaft aus Licht ins Sediment. Mit solcher Wucht hatte die Lawine das Kabel getroffen, dass die zerrissenen Enden hunderte von Kilometern auseinander lagen. Erst im islandischen Becken fand sich TAT 14 wieder, ein nutzloses Stuck Hightech, das sudlich von Neufundland wieder auf den Schelf gelangte, an dessen Rand es bis nach Boston verlief. Dort mundete es in die Landverbindung. Uber die Rocky Mountains gelangte die Datenautobahn schlie?lich in die westkanadischen Kustengebirge oberhalb Vancouvers, direkt in die Schaltstationen des beruhmten Luxushotels Chateau Whistler am Fu?e von Blackcomb Mountain, wo die Glasfaser in ein konventionelles Kupferkabel uberging. Eine Photodiode kehrte den Prozess um und wandelte die Lichtimpulse zuruck in digitale Impulse.