»Schoner Versuch«, sagte er. »Aber jetzt reicht’s. Dr. Anawak, haben Sie bitte die Freundlichkeit, unseren Mr. Anderson hier aufstehen zu lassen. Er tut nur seine Pflicht.«
Widerstrebend loste Anawak seine Finger aus Andersons Kapuzenkragen. Der Erste Offizier schnellte hoch. Er wartete nicht, bis sein Gegner von selber auf die Beine kam, sondern hievte ihn hoch wie einen Sack. Im nachsten Moment flog Anawaks Korper auf die Kante zu.
»Nein!«, schrie Johanson.
Anawak versuchte sich festzukrallen. Er schlug auf, schlitterte weiter und rutschte bis hart an den Rand der Plattform.
Andersons Kopf ruckte zu Johanson, die ausdruckslosen Augen starrten ihn an. Er streckte einen Arm aus, riss ihn zu sich heran und rammte ihm die Faust in den Magen. Johanson japste nach Luft. Wellen von Schmerz breiteten sich in seinen Eingeweiden aus. Wie ein Taschenmesser klappte er zusammen und fiel auf die Knie.
Der Schmerz war kaum zu ertragen. Er kam nicht mehr hoch.
Wurgend hockte er da, wahrend ihm der Wind das Haar um die Ohren peitschte, und wartete darauf, dass Anderson erneut zuschlug.
VIERTER TEIL
ABWARTS
Forschungen zufolge ist der Mensch ab einer gewissen Sub— bzw. Metastufe nicht mehr in der Lage, Intelligenz als solche zu erkennen. Als Intelligenz begreift er nur, was im Rahmen seines Verhaltens liegt. Jenseits dieses Rahmens, im Mikrokosmos etwa, wurde er sie schlicht ubersehen. Ebenso wird er in einer hoheren Intelligenz, einem weit uberlegenen Geist, blo?es Chaos erblicken, weil er dessen komplexe Sinnschlusse nicht zu entwirren vermag. Entscheidungen einer solchen Intelligenz blieben ihm unverstandlich, da ihr Parameter zugrunde liegen, die seine intellektuelle Verarbeitungskapazitat ubersteigen. Auch ein Hund sieht in einem Menschen nur die Macht, der er sich unterordnet, nicht den Geist. Menschliches Verhalten mutet ihm sinnlos an, weil wir auf Grundlage von Uberlegungen handeln, die seine Wahrnehmung uberfordern. Wiederum werden wir Gott, falls es ihn gibt, nicht als Intelligenz wahrnehmen konnen, weil sein Denken auf einer Gesamtheit von Uberlegungen fu?en durfte, deren Komplexitat sich uns bei weitem entzieht. Als Folge ist Gott chaotisch in unseren Augen und mithin kaum der Richtige, um die ortsansassige Fu?ballmannschaft gewinnen zu lassen oder Kriege zu vereiteln. Ein solches Wesen lage jenseits der au?erstmoglichen Grenze menschlicher Verstandnisfahigkeit. Woraus sich zwingend die Frage ableitet, ob das Metawesen Gott seinerseits uberhaupt in der Lage ist, uns auf unserer Substufe als Intelligenz wahrzunehmen. Vielleicht sind wir ja nur ein Experiment in einer Petrischale …
Doch Anderson schlug nicht zu.
Sekunden zuvor hatten die Delphine ein unbekanntes Objekt gemeldet und die Mannschaft der Independence in erhohte Alarmbereitschaft versetzt. Gleich darauf erfassten es auch die Sonarsysteme. Etwas von unbestimmter Form und Gro?e, das sich rasch naherte. Es machte kein Gerausch wie ein Torpedo, und keine Quelle war aufzuspuren, von der es hatte stammen konnen. Was die Leute auf der Brucke und an den Kontrollinstrumenten besonders nervos machte, war der Umstand, dass sich das Ding nicht nur mit wachsender Geschwindigkeit und vollig lautlos naherte, sondern au?erdem senkrecht aus der Tiefe emporstieg. Sie starrten auf die Monitore und sahen im Dunkel des Abgrunds etwas Rundes, Blauliches erscheinen. Eine wabernde Kugel naherte sich, mehr als zehn Meter im Durchmesser, nahm Gestalt an und wurde gro?er.
Als Buchanan den Befehl gab, das merkwurdige Ding abzuschie?en, war es bereits zu spat.
Direkt unter dem Rumpf platzte die Kugel auf.
Wahrend der letzten Minuten hatte sich das Gas in ihrem Innern immer mehr ausgedehnt und ihren Aufstieg beschleunigt. Jetzt schoss sie mit hoher Geschwindigkeit heran, ein Ball aus dunner, zum Bersten gespannter Gallerte, der plotzlich an der Oberseite aufriss, auseinander klappte und als wehender Fetzen zuruckblieb. Das frei werdende Gas wirbelte weiter der Oberflache entgegen und riss etwas Gro?es, Rechteckiges mit sich.
Sich uberschlagend raste das verloren gegangene Deepflight auf die Independence zu, Bug voran, und bohrte seine panzerbrechenden Torpedos in ihren Rumpf.
Der Herzschlag einer Ewigkeit verstrich.
Dann folgte die Explosion.
Das riesige Schiff erbebte.
Buchanan, der das Unheil hatte kommen sehen, hielt auf der Brucke mit knapper Not das Gleichgewicht, indem er sich an den Kartentisch klammerte. Andere fanden nichts zum Festhalten und gingen zu Boden. In den Kontrollraumen unterhalb der Insel erzitterte das Schiff so stark, dass Monitore zersplitterten und Ausrustungsgegenstande durch die Luft flogen. Im CIC wurden Crowe und Shankar von ihren Stuhlen gerissen. Uberall auf der Independence regierte von einer Sekunde auf die andere heilloses Chaos, mischte sich der unvermittelt einsetzende, durchdringende Alarm mit Geschrei, schlugen Stiefelabsatze auf, klirrte, drohnte und schepperte es, wahrend sich dumpfes Grollen durch die Gange, Raume und Levels fortpflanzte.
Wenige Sekunden nach dem Aufschlag war der gro?te Teil der Olschnepfen, wie die Kessel— und Antriebstechniker im Navy-Jargon genannt wurden, tot. Wo die mittschiffs gelegenen Laderaume und der Maschinenraum mit den beiden LM-2500-Gasturbinen aneinander grenzten, hatte die Explosion einen gewaltigen Krater gerissen. Dort klaffte die Schiffshulle auf einer Lange von uber 20 Metern auseinander. Wasser drang mit der Gewalt von Vorschlaghammern ein und erschlug jeden, den das explodierende Tauchboot nicht sofort getotet hatte. Wer es bis dahin schaffte, am Leben zu bleiben, wer gar versuchte, der Holle zu entkommen, sah sich mit schlie?enden Schotts konfrontiert. Der einzige Weg, die Independence jetzt noch zu retten, bestand darin, die Leute in den Katakomben des Schiffes zu opfern, indem man sie zusammen mit den tosenden Wassermassen einschloss, um ein weiteres Ausbreiten der Flut zu verhindern.
Die Plattform erhielt einen heftigen Schlag. Sie schnellte hoch wie eine Wippe und schleuderte Floyd Anderson uber Johanson. Der Erste Offizier ruderte mit den Armen, die Finger gespreizt, aber da war nichts, woran man sich hatte festhalten konnen. Sein Korper beschrieb einen Salto, der unter anderen Umstanden als komisch gegolten hatte. Er krachte mit der Stirn auf die Plattform, drehte sich auf den Rucken und blieb reglos liegen, die Augen starr geoffnet.
Vanderbilt taumelte. Die Pistole entglitt ihm und schlitterte auf den Rand zu, wo sie wenige Zentimeter vor der Kante liegen blieb. Er sah Johanson beim Versuch, sich aufzurappeln, lief zu ihm und trat ihm in die Rippen. Der Wissenschaftler kippte mit einem erstickten Schrei zur Seite. Vanderbilt hatte nicht die geringste Ahnung, was passiert war, sah man davon ab, dass es nur das Schlimmste sein konnte, aber der Auftrag lautete, Johanson zu beseitigen, und er war fest entschlossen, diesen Auftrag auszufuhren. Er buckte sich, um den stohnenden und blutenden Mann uber die Plattform zu wuchten und moglichst uber das Netz hinaus zu befordern, als jemand seitlich gegen ihn prallte.
»Du Schwein!«, schrie Anawak.
Plotzlich sah er sich mit einem Paar wild gewordener Dreschflegel konfrontiert. Anawak prugelte wie besessen auf ihn ein. Vanderbilt wich zuruck. Er brauchte einen Moment, um seiner Verbluffung Herr zu werden. Schutzend riss er die Arme uber den Kopf, wich seitlich aus und trat den Angreifer gegen die Kniescheibe.