»Oh Mann«, flusterte Weaver.
»Das zeigt uns zweierlei«, sagte Crowe. »Zum einen, Scratch ist tatsachlich eine Art Sprache. Mit hoher Wahrscheinlichkeit enthalten Scratch -Signale komplexe Informationen. Zum anderen — und das ist entscheidend! — beweist es, dass sie in der Lage sind, Scratch so umzubauen, dass es fur uns einen Sinn ergibt. Das ist eine Leistung erster Gute. Es zeigt, dass sie uns in nichts nachstehen. Sie konnen nicht nur decodieren, sondern auch codieren.«
Eine Weile starrten alle nur auf die Zahlenkolonnen. Es herrschte Schweigen, angesiedelt zwischen Ergriffenheit und Beklommenheit.
»Aber was genau beweist es?«, sagte Johanson in die Stille hinein.
»Ist doch klar«, antwortete Delaware. »Dass da jemand denkt und antwortet.«
»Ja, aber konnte ein Computer nicht dieselben Antworten geben?«
»Du meinst, wir unterhalten uns mit einem Computer?«
»Er hat Recht«, sagte Anawak. »Es zeigt uns, dass jemand brav seine Rechenaufgaben gemacht hat. Das ist in hochstem Ma?e beeindruckend, aber nicht unbedingt ein Beweis fur selbstbewusstes, intelligentes Leben.«
»Wer soll denn sonst derartige Antworten ablassen?«, fragte Greywolf entgeistert. »Makrelen?«
»Quatsch, nein. Aber denk doch mal nach. Was wir hier erleben, ist der gekonnte Umgang mit Symbolen. Hohere Intelligenz lasst sich daruber nicht nachweisen. Ein Chamaleon vollzieht, salopp gesagt, eine hochkomplexe rechnerische Leistung, wenn es sich seiner Umgebung anpasst. De facto merkt es nicht mal was davon. Jemand, der nicht wei?, wie intelligent ein Chamaleon ist, konnte zu dem Schluss gelangen, dass es verdammt intelligent sein muss, um ein Programm zu beherrschen, das sein Au?eres heute einem Blatterwald und morgen einer Felswand angleicht. Man wurde ihm ein hohes Ma? an Erkenntnisfahigkeit unterstellen, weil es sozusagen den Code seiner Umgebung entschlusselt, und kreatives Vorgehen, weil es seinen eigenen Code darauf abstimmen kann.«
»Also was haben wir dann hier?«, fragte Delaware ratlos. Sie wirkte enttauscht.
Crowe schmunzelte.
»Leon hat Recht«, sagte sie. »Das Manipulieren von Symbolen bietet keinerlei Gewahr, dass die Symbole auch verstanden werden. Echter Geist und Kreativitat weisen sich durch Vorstellungskraft und Wissen uber die Zusammenhange in der wirklichen Welt aus. Durch tieferes Verstandnis. Eine Rechenmaschine, und sei sie noch so leistungsfahig, kennt nicht den Umgang mit der Faustregel, nicht das Handeln wider die Logik, sie setzt sich nicht mit der Umwelt auseinander und macht keine Erfahrungen. — Ich schatze, das haben sich die Yrr auch gesagt, als sie ihre Antwort formulierten. Sie haben nach etwas gesucht, um uns zu zeigen, dass sie zu hoherem Verstandnis fahig sind.« Crowe zeigte auf das Computerbild. »Das sind die Ergebnisse der beiden Rechenaufgaben. Wenn Sie genau hinsehen, stellen Sie fest, dass Ergebnis eins elfmal hintereinander erscheint, dann dreimal Ergebnis zwei, einmal Ergebnis eins, wiederum neunmal Ergebnis zwei, und so weiter. An einer Stelle wiederholt sich Ergebnis zwei fast drei?igtausend Mal. Aber warum? Es macht Sinn, uns jedes Resultat mehr als einmal zu schicken, einfach schon, damit die Nachricht lang genug ist, um registriert zu werden. Aber wozu diese scheinbar chaotische Abfolge?«
»Hier kam Miss Alien ins Spiel«, sagte Shankar und grinste geheimnisvoll in die Runde.
»Mein Alter Ego Jodie Foster«, nickte Crowe. »Ich muss gestehen, dass mir die Antwort einfiel, als ich an den Film dachte. Die Abfolge ist ebenfalls ein Code. Wenn man sie richtig zu lesen wei?, erhalt man ein Bild aus schwarzen und wei?en Pixeln — also nichts anderes als das, was wir bei SETI auch machen.«
»Hoffentlich nicht Adolf Hitler«, sagte Rubin.
Diesmal hatte er einen Lacher. Mittlerweile hatten alle den Film Contact mit Jodie Foster gesehen. Darin schickten die Aliens ein Bild zur Erde, dessen Pixel Teile einer Bauanleitung enthielten. Sie hatten einfach irgendein Bild aus dem Fundus dessen genommen, was die Menschheit im Verlauf ihrer technischen Evolution in den Weltraum abgestrahlt hatte, und sich ausgerechnet fur ein Foto von Hitler entschieden.
»Nein«, sagte Crowe. »Es ist nicht Hitler.«
Shankar gab dem Computer einen Befehl ein. Die Zahlenkolonnen verschwanden und wichen einer Grafik.
»Was ist das denn?« Vanderbilt beugte sich vor.
»Sie erkennen es nicht?« Crowe lachelte in die Runde. »Hat sonst irgendjemand eine Idee?«
»Sieht aus wie ein Wolkenkratzer«, sagte Anawak.
»Das Empire State Building«, schlug Rubin vor.
»Blodsinn«, sagte Greywolf. »Woher sollen sie das Empire State Building kennen? Es sieht aus wie eine Rakete.«
»Und woher kennen sie Raketen?«, sagte Delaware.
»Weil jede Menge davon im Meer rumliegen. Versehen mit nuklearen Sprengkopfen, chemischen Kampfstoffen …«
»Was ist dieses Drumherum da?«, fragte Oliviera. »Wolken?«
»Vielleicht Wasser«, meinte Weaver. »Vielleicht ist es was aus der Tiefsee. Eine Formation.«
»Wasser ist schon mal gut«, sagte Crowe.
Johanson rieb seinen Bart. »Es macht eher den Eindruck eines Monuments. Moglicherweise ist es ein Symbol. Etwas … Religioses.«
»Menschlich, allzu menschlich.« Crowe schien das Ganze diebische Freude zu bereiten. »Warum fragen Sie sich nicht einfach, ob man das Bild auch anders betrachten kann.«
Sie starrten weiter darauf. Plotzlich zuckte Li zusammen.
»Konnen Sie es um 90 Grad kippen?«
Shankars Finger glitten uber die Tastatur, und das Gebilde erschien in Seitenlage.
»Ich sehe immer noch nicht, was das sein soll«, sagte Vanderbilt. »Ein Fisch? Ein gro?es Tier?«
Li schuttelte den Kopf. Sie stie? ein leises Lachen aus.
»Nein, Jack. Die Muster drum herum sind Wellen. Meereswellen. Eine Momentaufnahme, von unten gesehen. Aus der Tiefe gegen die Wasseroberflache.«
»Was? Und das schwarze Ding?«
»Ganz einfach. Das sind wir. Es ist unser Schiff.«
Vielleicht hatten sie nicht ganz so euphorisch sein sollen.
Wahrend der letzten sechzehn Stunden hatte der Sauger ununterbrochen gearbeitet und Tonnen rosawei?er Leiber ans Tageslicht befordert, denen der rapide Ortswechsel augenscheinlich schlecht bekam. Die meisten trafen aufgeplatzt ein, der Rest wand sich in Krampfen und verendete mit ausgestulptem Russel und zuckenden Kiefern.
Gleich zu Anfang war Frost nach drau?en gelaufen, wo die Polychaten zusammen mit dem hoch gepumpten Meerwasser in einer gewaltigen Fontane aus dem Schlauch spritzten und in weit gespannte Netze plumpsten, wahrend das Wasser nach unten ablief. Uber Rutschen fanden sie in den Bauch eines Frachters, der neben der Heerema lag und sich stetig fullte. Frost hatte begeistert in die Masse gegriffen und war schleimverschmiert mit einem Dutzend Kadaver zuruckgekehrt, die er triumphierend in die Hohe hielt.
»Nur ein toter Wurm ist ein guter Wurm«, donnerte er. »Horet meine Worte! Yeah!«
Alle hatten applaudiert, auch Bohrmann.
Nach einer Weile hatte sich der aufgewirbelte Schlamm gelegt, und sie blickten auf marmoriertes Lavagestein. Vereinzelt stiegen dunne Blasenschnure daraus hervor. Die Kameras der Lichtinsel zoomten, sodass Bohrmann ziemlich genau erkannte, was es mit der Marmorierung auf sich hatte.
»Bakterienmatten«, sagte er.
Frost sah ihn an. »Und was hei?t das?«
»Schwer zu sagen.« Bohrmann rieb seine Fingerknochel an seinem Kinn. »Solange sie die Oberflache besiedeln, droht keine Gefahr. Ich wei? nicht, wie viel von dem Zeug bereits ins Innere des Sediments vorgedrungen ist. Die schmutzig grauen Linien dazwischen, das ist ubrigens Hydrat.«