»Und wenn wir’s nicht tun?« Rubin stie? ein krachzendes Lachen aus. »Komm mir nicht mit diesem selbstgefalligen Ethos. Wir werden alle sterben. Wollt ihr auf die nachsten Tsunamis warten? Auf den Methan-GAU? Auf die Eiszeit?«

»Wir sind nicht mal eine Woche hier und haben schon einen Kontakt aufgebaut«, sagte Weaver. »Warum versuchen wir es nicht weiter mit Verstandigung?«

»Zu spat«, stohnte Rubin.

Ihre Blicke wanderten uber Wande und Decken. Sie wusste nicht, wie viel Zeit ihr noch blieb, bevor Li oder Peak aufkreuzten. Vielleicht kam auch Vanderbilt. Lange konnte es nicht mehr dauern.

»Was hei?t das, zu spat?«

»Es ist zu spat, du blode Kuh!«, schrie Rubin. »In weniger als zwei Stunden bringen wir das Gift zum Einsatz.«

»Ihr musst wahnsinnig sein«, flusterte Oliviera.

»Mick«, sagte Weaver. »Ich will jetzt genau wissen, wie ihr es macht. Ansonsten rutscht mir die Hand aus.«

»Ich bin nicht autorisiert, dir das …«

»Ich meine es ernst.«

Rubin zitterte noch starker. »Im Deepflight 3 sind zwei Torpedorohre fur das Gift vorgesehen. Wir haben es in Projektile gefullt …«

»Sind sie schon an Bord?«

»Nein, ich sollte das Boot gleich damit ausrusten, um …«

»Wer geht runter?«

»Li und ich.«

»Li geht selber da runter?«

»Es war ihre Idee. Sie uberlasst nichts dem Zufall.« Rubin zwang sich ein Grinsen ab. »Ihr kommt nicht gegen sie an, Karen. Ihr konnt es nicht verhindern. Wir werden die Welt retten. Es werden unsere Namen sein, an die man sich erinnern wird …«

»Halt die Schnauze, Mick.« Weaver begann ihn Richtung Tur zu schieben. »Wir gehen jetzt in dieses Labor. Das Boot wird nicht betankt. Gerade hat sich das Drehbuch geandert.«

Welldeck

»Lauft da eigentlich was zwischen dir und Karen?«, fragte Greywolf, wahrend er Ausrustungsteile in Containern verstaute.

Anawak stutzte. »Nein. Eigentlich nicht.«

»Eigentlich?«

»Wir verstehen uns gut. Ich denke, das ist alles.«

Greywolf sah ihn an. »Vielleicht solltest wenigstens du anfangen, ein paar Dinge richtig zu machen«, sagte er.

»Ich wei? nicht mal, ob sie interessiert ist.« Plotzlich wurde Anawak bewusst, dass er es soeben vor sich und Greywolf eingestanden hatte. »Ich wei? es wirklich nicht, Jack. Ich bin in solchen Dingen leider ein ziemlicher Trottel.«

»Ist mir klar«, sagte Greywolf hohnisch. »Dein Vater musste erst sterben, damit du uberhaupt in der Welt der Lebenden ankommst.«

»Hey …«

»Reg dich ab. Du wei?t, dass ich Recht habe. Warum gehst du ihr nicht hinterher? Sie wartet doch drauf.« »Ich bin deinetwegen hergekommen, nicht wegen Karen.«

»Ich wei? es zu schatzen. Jetzt geh endlich.«

»Verdammt, Jack.« Anawak schuttelte den Kopf. »Hor auf, dich hier einzugraben. Komm mit nach oben, bevor dir Flossen wachsen.«

»Flossen wurde ich im Augenblick bevorzugen.«

Anawak sah unschlussig zum Tunnel. Naturlich ware er Weaver gerne hinterhergegangen, aber es gab noch einen anderen Grund als seine frisch eingestandenen Gefuhle. Irgendetwas hatte sie beunruhigt. Sie war seltsam gewesen, verkrampft und aufgekratzt. Er musste an das denken, was sie ihm von Johanson erzahlt hatte.

»Gut, versaure hier«, sagte er zu Greywolf. »Falls du’s dir anders uberlegst, ich bin oben.«

Er verlie? das Welldeck und passierte das Labor. Es war verschlossen. Kurz uberlegte er, hineinzuschauen. Vielleicht traf er Johanson an. Es reizte ihn, mehr uber die Sache zu erfahren. Dann entschied er sich anders und lief weiter die Rampe hoch zum Hangardeck, um einen Blick auf die ominose Wand zu werfen.

Aber das tat er nicht.

Als Anawak den Hangar betrat, sah er Vanderbilt und Anderson, die gerade den Durchgang zur Au?enplattform passierten.

Plotzlich hatte er ein mulmiges Gefuhl.

Was machten die hier?

Und wohin war Weaver eigentlich verschwunden?

Abgrund

Heulender Westwind war aufgekommen. Er blies vom Eiskap her, trieb schaumende Brecher am Rumpf der Independence entlang und saugte den letzten Rest Warme aus dem Meer.

Unter der heftig bewegten Oberflache bildeten sich Strudel und Turbulenzen, doch mit zunehmender Tiefe wurde es ruhig. Vor wenigen Monaten war hier eiskaltes Wasser, schwer von Salz, in Kaskaden hinabgesturzt. Immer noch herrschte grimmige Kalte, aber nun vermischte sich die See mit dem Su?wasser rapide abschmelzender Polareismassen, denen seit geraumer Zeit Warme zugefuhrt wurde. Die gro?e, nordatlantische Pumpe, auch Lunge der Weltmeere genannt, weil mit dem erkalteten Wasser ungeheure Mengen Sauerstoff in die Tiefe gelangten, kam langsam, aber sicher zum Erliegen. Das Forderband der Meeresstromungen stand still, der Warme spendende Strom aus den Tropen versiegte.

Noch allerdings hatte die Pumpe ihre Arbeit nicht vollstandig eingestellt. Auch wenn die Kaskaden nicht mehr messbar waren, wanderten nach wie vor geringe Mengen Kaltwasser hinab. Durch lichtlose Stille fielen sie dem Abgrund des Gronlandischen Beckens entgegen, Meter um Meter, Hunderte von Metern, Tausende.

In dreieinhalb Kilometer Tiefe, unmittelbar uber dem schlammigen Grund, wich die Finsternis einem dunkelblauen Leuchten.

Es erstreckte sich uber eine riesige Flache: keine Wolke, sondern ein dunnwandiges, rohrenartiges Gebilde, mit unzahligen gallertigen Fu?chen am Boden verhaftet. Im Innern der Rohre wogten Millionen fuhlerartiger Auswuchse in regelma?igen Wellen, eine Wiese aus synchron bewegten Gallertfaden. Gro?e Brocken einer wei?lichen Substanz wanderten darauf in Richtung eines gro?en Gegenstandes. Das blaue Leuchten reichte kaum aus, um seine Form erkennen zu lassen, erhellte nur schwach zwei geoffnete Kuppeln. Mehr war von dem gesunkenen Deepflight, das schrag im Schlick der Tiefsee lag, nicht zu sehen.

Seit geraumer Weile fullte der Organismus das Tauchboot mit den wei?en, gefrorenen Brocken. Inzwischen passte nicht mehr viel hinein, und der Nachschub versiegte. Ein Teil der Rohre schnurte sich ab, sank auf das Boot herab und begann es zu umhullen. Die transparente Substanz zog sich um den Rumpf zusammen, verdichtete sich und druckte die Kuppeln herunter. Blau schimmernde Flachen breiteten sich aus und flossen ineinander, bis das komplette Boot in einer geschlossenen Umhullung steckte, zu der sich ein langer, dunner Schlauch wand.

Der Schlauch begann zu pulsieren. Wasser wurde durch sein Inneres gepumpt. Wasser von weit her. Die hauchdunne Gallerte saugte es aus einem gewaltigen organischen Ballon, der ein Stuck uber dem Tauchboot hing, angefullt mit warmerem Wasser, das die Gallerte dem Schlammvulkan vor Norwegens Kuste entnommen hatte. Bedingt durch das warme und damit leichtere Wasser in seinem Innern hatte der Ballon zur Oberflache emporsteigen mussen, aber sein Korpergewicht hielt ihn in perfekter Schwebe.

Warme stromte in den Gallertsack, der das Tauchboot umhullte.

Die wei?en Brocken reagierten augenblicklich. Binnen Sekunden schmolzen die Kristallkafige des Hydrats dahin. Explosionsartig blahte sich das komprimierte Methan zum Einhundertvierundsechzigfachen seines Volumens auf, fullte das Deepflight mit Gas und blies die gallertene Hulle auf, bis sie sich blahte und spannte. Der Gallertkokon trennte die Verbindung zum Schlauch und schloss sich. Kein Gas konnte mehr entweichen. Mit aller Kraft strebte es nach oben, langsam erst, dann, mit abnehmendem Druck ringsum, immer schneller, den Kokon und das darin eingeschlossene Tauchboot mit sich rei?end.

Labor

Weaver, Rubin im Klammergriff und die Klinge an seinem Hals, kam nicht mal bis nach drau?en. Die Labortur glitt auf. Drei Soldaten mit schwerer Bewaffnung sturmten ins Innere und legten auf sie an. Sie horte Oliviera einen Entsetzensschrei aussto?en und blieb stehen, ohne Rubin loszulassen.