Crowe lief um ihr Leben.
Neben ihr schlugen brennende Trummerteile auf. Sie rannte auf das Heck der Independence zu. Inzwischen war das Schiff so weit abgesackt, dass sie bergauf laufen musste, was ihr heftiges Keuchen entlockte: In den letzten Jahren war ihrer Lunge mehr Nikotin als Frischluft zugefuhrt worden.
Eigentlich hatte sie immer angenommen, irgendwann an Lungenkrebs zu sterben.
Sie stolperte und schlitterte uber den Asphalt. Im Hochkommen sah sie den kompletten vorderen Teil der Insel in ledernen Flammen stehen. Auch der zweite Hubschrauber brannte. Menschen liefen als lebendige Fackeln uber das Deck, bevor sie zusammenbrachen. Der Anblick war grauenhaft, und die damit verbundene Gewissheit, dass sie nun kaum noch eine Chance hatte, den Untergang der Independence zu uberleben, war noch grauenhafter.
Heftige Detonationen lie?en Glutballe uber der Insel aufsteigen. Das Feuer brullte und tobte. Mitten hinein mischte sich ein lauter Knall, und dicht vor Crowes Fu?en ging ein Funkenregen nieder.
Shankar war in dem Inferno ums Leben gekommen.
So wollte sie nicht sterben.
Sie sprang auf, lief weiter dem Heck zu, ohne die geringste Vorstellung, wie es dort weitergehen sollte.
Li fluchte.
Den ersten Torpedo hatte sie unter den Arm geklemmt, aber der zweite war irgendwo hingerollt. Entweder war er in den Niedergang gefallen oder weiter den Gang Richtung Bug gerollt.
Peak, das verdammte Arschloch!
Sie stieg uber seinen Leichnam hinweg, wahrend sie uberlegte, ob ein Torpedo voller Gift reichen wurde. Aber dann blieb ihr nur eine Chance. Vielleicht versagte der eine, vielleicht offnete er sich nicht, um das Gift ins Wasser zu entlassen. Zwei waren auf alle Falle besser.
Angestrengt spahte sie in den Gang.
Plotzlich horte sie uber sich ein gewaltiges Drohnen. Diesmal erzitterte das Schiff noch starker. Sie sturzte und rutschte auf dem Rucken den Flur hinunter. Was passierte jetzt wieder? Das Schiff flog in die Luft! Sie musste raus hier. Es ging nicht mehr alleine um den Auftrag, das Deepflight wurde auch ihr Leben retten mussen. Der Torpedo entglitt ihr. »Schei?e!«
Sie griff danach, aber er rumpelte an ihr vorbei. Waren die Dinger mit Sprengstoff gefullt gewesen, hatte es spatestens jetzt geknallt. Aber es war nur Flussigkeit darin. Kein Sprengstoff, sondern Flussigkeit, genug, um eine intelligente Rasse auszuloschen.
Sie spreizte Arme und Beine ab und versuchte, sich irgendwo zu verkeilen. Nach einigen Sekunden kam sie zur Ruhe. Ihr ganzer Korper schmerzte, als habe jemand mit Eisenstangen darauf eingeprugelt. Vielleicht sah man ihr nicht an, dass sie auf die funfzig zuging, aber gerade fuhlte sie sich wie hundert. Sie schob sich die Wand hoch und schaute sich um.
Auch der zweite Torpedo war verschwunden.
Sie hatte schreien konnen.
Die Gerausche aus dem Untergrund, die das eindringende Wasser verursachte, erklangen beunruhigend nahe. Lange wurde es nicht mehr dauern. Von oben drang brodelnder Larm.
Und Hitze.
Sie stutzte. Tatsachlich. Es war warmer geworden.
Sie musste die Torpedos wieder finden.
Wild entschlossen stie? sie sich von der Wand ab und begab sich auf die Suche.
MacMillan, der Soldat, war dicht hinter ihnen gegangen, das Gewehr im Anschlag, als der Schlag das Labor erbeben lie?. Sie sturzten allesamt ins Wasser. Als Weaver wieder hochkam, krachte es uber ihnen furchterlich, als sei etwas Gro?es in die Luft geflogen.
Dann fiel das Licht aus.
Von einer Sekunde auf die andere starrte Weaver in tintige Schwarze.
»Sigur?«, rief sie.
Keine Antwort.
»MacMillan?«
»Ich bin hier.«
Sie spurte Grund unter den Fu?en. Das Wasser stand ihr bis zur Brust. Verflucht, auch das noch! Sie waren fast schon bei einem der toten Soldaten gewesen.
Etwas stie? sacht gegen ihre Schulter. Sie griff danach. Ein Stiefel. Sie hielt einen Stiefel in der Hand, und in dem Schaft steckte ein Bein.
»Karen?«
Johansons Stimme, ganz nah. Allmahlich gewohnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Im nachsten Moment flammte rote Notbeleuchtung auf und verlieh dem Labor die Atmosphare einer dammrigen Vorholle. Gleich neben sich sah sie schattenhaft Johansons Kopf und Schultern aus dem Wasser ragen.
»Komm ruber«, rief sie. »Hilf mir.«
Das dumpfe Drohnen und Tosen drang jetzt nicht mehr nur von unten, sondern auch aus der Hohe herab. Was war da los? Plotzlich hatte sie das Gefuhl, dass es warmer wurde im Labor. Johanson erschien an ihrer Seite.
»Wer ist es?«
»Egal. Pack mit an.«
»Wir mussen hier raus«, keuchte MacMillan. »Schnell.«
»Ja, sofort, wir …«
»Schnell!«
Weavers Blick fiel auf eine Stelle weiter hinten im Wasser.
Schwaches, blaues Leuchten.
Ein Lichtblitz.
Sie packte den Fu? des Toten fester und kampfte sich durch das Wasser in Richtung Tur. Johanson hatte den Arm des Mannes umfasst. Oder war es eine Frau? Hatten sie am Ende Oliviera erwischt? Weaver hoffte instandig, dass es nicht die arme Sue war, die sie da mit sich schleppten. Sie drangte vorwarts, trat auf etwas, das zur Seite wegrutschte, und geriet mit dem Kopf unter Wasser.
Mit offenen Augen starrte sie in die Schwarze.
Etwas schlangelte sich auf sie zu.
Es kam sehr schnell naher und sah aus wie ein langer, leuchtender Aal. Nein, kein Aal. Eher ein riesiger, kopfloser Wurm. Und da waren noch mehr von den Dingern.
Sie tauchte auf.
»Weg hier.«
Johanson zerrte an der anderen Seite. Unter der Wasseroberflache waren die leuchtenden, ausschwarmenden Tentakel zu sehen, jetzt mindestens ein Dutzend. MacMillan hob das Gewehr. Weaver spurte, wie etwas ihren Knochel entlang glitt und plotzlich daran zerrte.
Im nachsten Moment umschlangen sie mehrere der Dinger und krochen an ihr hoch. Sie versuchte das Zeug abzurei?en. Johanson sprang hinzu und grub seine Finger zwischen die Tentakel und ihren Korper, aber es war, als stecke sie im Klammergriff einer Anaconda.
Das Wesen zog an ihr.
Das Wesen? Sie kampfte gegen Milliarden von Wesen. Abermilliarden von Einzellern.
»Ich krieg’s nicht los«, keuchte Johanson.
Die Gallerte kroch uber ihre Brust und ihren Hals entlang. Weaver geriet erneut unter Wasser, das jetzt immer starker leuchtete. Hinter den Tentakeln schob sich etwas Gro?eres heran. Die Hauptmasse des Organismus.
Mit aller Kraft kampfte sie sich an die Oberflache.
»MacMillan«, gurgelte sie.
Der Soldat hob das Gewehr.
»Damit richten Sie nichts aus«, schrie Johanson.
MacMillan schien plotzlich ganz ruhig geworden zu sein. Er legte an und zielte auf die gro?e, naher ruckende Masse.
»Damit richte ich was aus«, sagte er.
Ein trockenes Stakkato ertonte, als MacMillan feuerte.
»Explosivgeschosse richten immer was aus!«
Die Salve drang in den Organismus. Wasser spritzte auf. MacMillan schickte eine zweite Garbe hinterher, und das Ding flog in Fetzen auseinander. Brocken von Gallerte klatschten ihnen um die Ohren. Weaver rang nach Luft. Mit einem Mal war sie frei. Johanson packte zu. Wie verruckt zogen sie an dem Leichnam. Der Wasserspiegel sank, und sie kamen schneller voran. Nachdem sich das Schiff weiter nach vorn geneigt hatte, sammelte sich der Hauptteil des Wassers jetzt im bugwartigen Teil des Labors, und die Tur lag beinahe im Trockenen. Es war schwierig, auf dem abschussigen Boden nicht auszurutschen, aber plotzlich wateten sie nur noch durch knochelhohes Wasser.
Sie wuchteten den Toten hinaus auf die Rampe. Auch dort war das Wasser zuruckgegangen. Plotzlich glaubte Weaver einen erstickten Schrei zu horen.