Diese verfluchten Einzeller wurden sich wundern.
Spa?iger Gedanke. Konnten sich Einzeller wundern?
Plotzlich wunderte sie sich selber. Etwas an den Armaturen hatte sich gerade verandert. Eines der Kontrolllampchen war erloschen, das ihr anzeigte, dass die Steuerung auf ihrer Seite …
Die Steuerung!
Sie hatte die Kontrolle uber die Steuerung verloren! Alle Funktionen waren zum Piloten zuruckgeschaltet worden. Stattdessen blinkte ein Display auf, das in grafischer Anordnung vier Torpedos zeigte, zwei schmale und zwei gro?ere, die Panzerbrecher.
Einer der Panzerbrecher leuchtete.
Li stohnte entsetzt auf. Mit dem Handballen schlug sie auf die Konsole, um die Kontrolle wieder auf ihren Platz zuruckzulegen, aber der Befehl zum Abschuss lie? sich nicht ruckgangig machen. Im Wasserblau ihrer Augen leuchtete die Anzeige weiter und zahlte unerbittlich ruckwarts:
00.03 … 00.02 … 00.01 … »Nein!«
00.00.
Ihr Gesicht versteinerte.
Der Panzerbrecher, den Johanson abgeschossen hatte, raste aus seiner Rohre. Knapp drei Meter bahnte er sich seinen Weg durchs Wasser, dann prallte er gegen die Stahlwand der Schleuse und explodierte.
Eine ungeheure Druckwelle erfasste das Deepflight. Es krachte gegen die ruckwartige Wand. Aus der Schleuse schoss eine riesige Wasserfontane. Noch wahrend sich das Tauchboot uberschlug, ging der zweite Torpedo hoch. Mit ohrenbetaubendem Krachen flog das halbe Welldeck in die Luft. Ein Feuerball blahte sich, in dem das Deepflight, seine beiden Insassen und die giftige Fracht so vollstandig vergingen, als habe es sie nie gegeben. Trummerteile bohrten sich in Decke und Wande und zerfetzten die achterlichen Ballasttanks, die augenblicklich voll liefen, wahrend durch den Krater, der einmal der Boden eines kunstlichen Hafenbeckens gewesen war, Tausende Tonnen Meerwasser einstromten.
Das Heck der Independence sackte ab.
Sie begann in rasender Geschwindigkeit zu sinken.
Anawak und Crowe hatten es bis an den Rand der Rampe geschafft, als die Schockwelle der Explosion das Schiff durchlief.
Die Erschutterung warf sie von den Beinen. Anawak wurde durch die Luft gewirbelt, sah die rauchverhangenen Wande des Rampentunnels um sich kreisen, bevor er Kopf voran in den schwarzen Schlund sturzte. Neben ihm drehte sich Crowe im freien Fall, verschwand aus seinem Sichtfeld. Der geriffelte Stahl drosch ihm gegen Schultern, Rucken, Brust und Becken und schurfte ihm die Haut von den Knochen. Er kam auf, schlug einen Salto, wurde von einer Druckwelle erfasst und herumgeschleudert, sodass er fur die Dauer eines Augenblicks den Eindruck hatte, wieder zuruckgeschossen zu werden nach oben. Unbeschreiblicher Larm drang an sein Ohr, als ob das ganze Schiff in Fetzen ginge. Unaufhaltsam fiel er weiter, flog in hohem Bogen auf schaumendes Wasser zu und tauchte unter.
Sofort erfasste ihn ein unerbittlicher Sog. In seinen Ohren brodelte es. Er strampelte mit Armen und Beinen, um dem Sog entgegenzuarbeiten, ohne jede Ahnung, wo oben und unten war. Hatte es nicht so ausgesehen, als werde die Independence Bug voran versinken? Wieso lief plotzlich das Heck voll?
Das Welldeck. Es war explodiert.
Johanson!
Etwas schlug in sein Gesicht. Ein Arm. Er griff danach, hielt ihn fest umklammert, stie? sich mit den Fu?en ab, ohne ein Gefuhl des Vorwartskommens, wurde auf die Seite geworfen und sofort wieder zuruckgezerrt, in alle Richtungen gleichzeitig. Seine Lungen schmerzten, als atme er flussiges Feuer. Er musste husten und fuhlte, wie ihm schlecht wurde auf seiner Achterbahnfahrt unter Wasser.
Plotzlich stie? sein Kopf uber die Oberflache.
Dammrig.
Crowe tauchte neben ihm auf. Er hielt immer noch ihren Arm umklammert. Sie wurgte und spuckte mit geschlossenen Augen, geriet wieder unter Wasser. Anawak zog sie zuruck. Um ihn herum schaumte und strudelte es. Er legte den Kopf in den Nacken und sah, dass sie am Grund des Rampentunnels waren. Wo die Biegung zum Labor und zum Welldeck gelegen hatte, tobten die Fluten.
Das Wasser stieg, und es war bitterkalt. Eisiges Wasser direkt aus der See. In seinem Neoprenanzug war er eine Weile vor der Auskuhlung geschutzt, aber Crowe trug nichts dergleichen am Leib.
Wir werden ertrinken, dachte er. Oder erfrieren. So oder so, das ist das Ende. Wir sind eingeschlossen im Bauch dieses schrecklichen Schiffes, und es lauft voll. Wir werden mit der Independence untergehen.
Wir werden sterben.
Ich werde sterben.
Namenlose Angst uberkam ihn. Er wollte nicht sterben. Er wollte nicht, dass es vorbeiging. Er liebte das Leben, so sehr liebte er es, so viel hatte er nachzuholen. Er konnte jetzt nicht sterben. Keine Zeit. Ein andermal gern, aber gerade passte es uberhaupt nicht.
Die Angst war unertraglich.
Wieder geriet er unter Wasser. Etwas hatte seinen Kopf gestreift. Nicht sonderlich hart, aber es druckte ihn nach unten. Anawak schlug mit den Beinen und kam frei. Er tauchte nach Luft schnappend auf und sah, was ihn da getroffen hatte, und sein Herz vollfuhrte einen Sprung.
Eines der Zodiacs war aus dem Welldeck gespult worden. Die Druckwelle der Explosion musste es losgerissen haben. Es trieb, sich drehend, auf dem schaumenden Wasser, das im Rampentunnel hoher stieg. Ein intaktes Schlauchboot mit Au?enborder und Regenkabine. Gedacht fur acht Personen, allemal gro? genug fur zwei und voll gepackt mit Notausrustung.
»Sam!«, schrie er.
Er sah sie nicht. Nur schwarzes, gurgelndes Wasser.
Nein, dachte er, so lauft das nicht. Eben ist sie doch noch neben mir gewesen.
»Sam!«
Das Wasser stieg weiter. Uber die Halfte des Tunnels war uberflutet. Er reckte die Arme, zog sich an der Gummiwulst des Zodiacs hoch und sah sich um. Crowe war verschwunden.
»Nein«, heulte er. »Nein, verdammt, nein!«
Er stemmte sich ins Boot. Es schaukelte heftig. Auf allen vieren kroch er zur anderen Seite und schaute hinab ins Wasser.
Da war sie!
Sie trieb mit halb geschlossenen Augen neben dem Boot. Die Wellen uberspulten ihr Gesicht. Das Boot hatte ihm den Blick auf sie versperrt. Ihre Hande vollfuhrten schwache, hilflose Bewegungen. Anawak beugte sich hinab, bekam ihre Handgelenke zu fassen und zog daran.
»Sam!«, schrie er ihr ins Gesicht.
Crowes Augenlider zuckten. Dann hustete sie und gab einen Wasserschwall von sich. Anawak stemmte sich mit den Fu?en gegen die Wulst und zerrte an ihr. Seine Arme schmerzten so heftig, dass er glaubte, es nicht zu schaffen, aber sein Wille diktierte ihm als einzig akzeptablen Weg, Samantha Crowe zu retten.
Komm mir blo? nicht ohne sie nach Hause, schien er zu sagen, sonst kannst du dich gleich wieder ins Wasser sturzen.
Er stohnte und wimmerte, heulte und fluchte, zog und zerrte, und dann war sie plotzlich im Boot.
Anawak fiel auf den Hintern.
Er hatte keine Kraft mehr.
Nicht schlappmachen, sagte die innere Stimme. Dass du im Zodiac sitzt, nutzt dir noch gar nichts. Du musst aus dem Schiff gelangen, bevor es dich mit in die Tiefe rei?t.
Das Zodiac drehte sich immer schneller. Es tanzte auf der steigenden Wassersaule dem Hangardeck entgegen. Nur noch ein kurzes Stuck, und sie wurden in die riesige Halle gespult werden. Anawak richtete sich auf und fiel sofort wieder hin. Auch gut, dachte er, dann kriechen wir eben. Auf Handen und Knien robbte er zur Fahrerkabine und zog sich an den Verstrebungen hoch. Sein Blick fiel auf die Instrumente. Um das kleine Lenkrad herum waren sie in ahnlicher Weise angeordnet wie bei der Blue Shark. Ein bekanntes Bild. Damit konnte er klarkommen.
Er schaute auf. Sie schossen dem oberen Ende der Rampe entgegen. Er klammerte sich fest und wartete auf den richtigen Augenblick.