Johanson begann sich zu fuhlen wie in einem Schauspiel. Skaugen inszenierte Stones Hinrichtung, so viel hatte er verstanden. Auf Lunds Gesicht breitete sich grimmige Zufriedenheit aus.
Aber war es nicht Stone gewesen, der den Wurm gefunden hatte?
»Clifford«, sagte Lund in die plotzlich entstandene Stille hinein. »Wann genau ist dir der Wurm das erste Mal begegnet?«
Stones Gesichtsfarbe wurde eine Spur fahler. »Das wei?t du doch«, sagte er. »Du warst dabei.«
»Und vorher nie?«
Stone sah sie an. »Vorher?«
»Vorher. Im letzten Jahr. Als du in Eigenregie den Kongsberg-Prototyp auf Grund gesetzt hast. In eintausend Metern Tiefe.«
»Was soll das?«, zischte Stone. Er sah zu Skaugen hinuber. »Das war kein Alleingang. Ich hatte Ruckendeckung. He, Finn, verdammt nochmal, was soll mir hier eigentlich unterstellt werden?«
»Sicher hattest du Ruckendeckung«, sagte Skaugen. »Du hast vorgeschlagen, eine neuartige Unterwasserfabrik zu testen, die fur eine maximale Tiefe von tausend Metern konzipiert war.«
»Genau.«
»Theoretisch konzipiert war.«
»Naturlich theoretisch. Bis zum ersten Versuch ist immer alles theoretisch. Ihr habt aber praktisch grunes Licht gegeben.« Stone sah Hvistendahl an. »Du auch, Thor. Ihr habt das Ding im Becken getestet und euer Okay gegeben.«
»Das stimmt«, sagte Hvistendahl. »Das haben wir.«
»Na also.«
»Wir hatten dich beauftragt«, fuhr Skaugen fort, »das Gebiet zu untersuchen und eine Expertise zu erstellen, ob es wirklich ratsam sei, eine nicht hinreichend erprobte Anlage …«
»Das ist eine Schweinerei!«, fuhr Stone auf. »Ihr habt die Anlage genehmigt.«
»… testweise in Betrieb zu nehmen. Ja, das Risiko haben wir verantwortet. Unter der Voraussetzung, dass alle Gutachten eindeutig dafur sprechen.«
Stone sprang auf. »Das haben sie ja auch«, schrie er, zitternd vor Erregung.
»Setz dich wieder hin«, sagte Skaugen kuhl. »Es wird dich interessieren zu horen, dass gestern Abend jeder Kontakt zum Kongsberg-Prototyp abgerissen ist.«
»Das …« Stone erstarrte. »Ich bin nicht direkt mit der Uberwachung vertraut. Ich habe die Fabrik nicht konstruiert, nur vorangetrieben. Was wirfst du mir eigentlich vor? Dass ich es noch nicht wei??«
»Nein. Aber wir haben unter dem Druck der Ereignisse auch die damalige Installation des Kongsberg-Prototyps genauestens rekonstruiert. Und dabei stie?en wir auf zwei Gutachten, die du seinerzeit … tja, wie soll ich sagen? Vergessen hast?«
Stones Finger krallten sich um die Tischplatte. Einen Moment lang glaubte Johanson tatsachlich, den Mann sturzen zu sehen. Stone wankte. Dann fing er sich, setzte eine ausdruckslose Miene auf und lie? sich langsam zuruck auf den Stuhl sinken.
»Davon wei? ich nichts.«
»Eines besagt, dass die Verteilung der Hydrate und Gasfelder in diesem Gebiet schwer zu kartographieren ist. Es hei?t in dem Bericht, das Risiko, im Verlauf einer
Olbohrung auf freies Gas zu sto?en, sei zwar verschwindend gering, aber nicht hundertpro zentig auszuschlie?en.«
»Es war so gut wie auszuschlie?en«, sagte Stone heiser. »Und das Ergebnis ubertrifft seit einem Jahr alle Erwartungen.«
»So gut wie ist nicht hundertprozentig.«
»Aber wir haben kein Gas angebohrt! Wir fordern Ol. Die Fabrik funktioniert, das Kongsberg-Projekt ist ein voller Erfolg. So erfolgreich, dass ihr beschlossen habt, den Nachfolger zu bauen, und diesmal offiziell.«
»Aus dem zweiten Gutachten«, sagte Lund, »geht hervor, dass ihr auf einen bis dahin unbekannten Wurm gesto?en seid, der sich im Hydrat eingenistet hatte.«
»Ja, zum Teufel. Es war der Eiswurm.«
»Hast du ihn untersucht?«
»Wieso denn ich?«
»Habt ihr ihn untersucht?«
»Es war … sicher haben wir ihn untersucht.«
»Das Gutachten sagt, der Wurm sei nicht eindeutig als Eiswurm identifiziert worden. Er sei in gro?er Anzahl angetroffen worden. Sein Einfluss auf die lokalen Gegebenheiten konne nicht eindeutig festgestellt werden, allerdings sei in seinem unmittelbaren Umfeld Methan ins Wasser entwichen.«
Stone war wachswei? geworden. »Das ist so nicht …
nicht ganz richtig. Die Tiere kamen in einem sehr begrenzten Gebiet vor.«
»Dort aber massenweise.«
»Wir haben abseits davon gebaut. Ich habe diesem Gutachten … es hatte keine echte Relevanz.«
»Habt ihr den Wurm klassifizieren konnen?«, fragte Skaugen ruhig.
»Wir waren uns sicher, dass es …«
»Habt ihr ihn klassifizieren konnen?«
Stones Kiefer mahlten. Er kam Johanson vor, als ob er Skaugen im nachsten Moment an die Gurgel gehen wurde.
»Nein«, presste er nach einer langeren Pause hervor.
»Gut«, sagte Skaugen. »Cliff, du bist vorlaufig von allen Aufgaben entbunden. Tina wird deinen Job ubernehmen.«
»Das kannst du nicht …«
»Wir reden spater daruber.«
Stone sah Hilfe suchend zu Hvistendahl, doch der starrte geradeaus. »Thor, verdammt nochmal, die Fabrik funktioniert doch.«
»Du bist ein Idiot«, sagte Hvistendahl tonlos. Stone wirkte vollkommen entgeistert. Sein Blick wanderte von einem zum anderen. »Es tut mir Leid«, sagte er. »Ich wollte nicht … Ich wollte wirklich nur, dass wir mit der Fabrik weiterkommen.« Johanson fuhlte sich peinlich beruhrt. Darum also war Stone die ganze Zeit uber so bemuht gewesen, die Rolle der Wurmer herunterzuspielen. Er wusste, dass er damals einen Fehler begangen hatte. Er hatte der Erste sein wollen, der einen Prototyp erfolgreich in Funktion nahm. Die Unterwasserfabrik war Stones Baby. Sie stellte eine einmalige Chance fur ihn dar, Karriere zu machen.
Eine Weile hatte es funktioniert. Ein erfolgreiches Jahr mit einem inoffiziellen Test, dann die offizielle Inbetriebnahme, am Ende eine Serie und der Vorsto? in immer neue Tiefen. Es hatte Stones personlicher Triumphzug werden konnen. Aber dann tauchten die Wurmer ein zweites Mal auf. Und diesmal beschrankten sie sich nicht auf wenige Quadratmeter.
Plotzlich tat er Johanson beinahe Leid.
Skaugen rieb sich die Augen. »Es ist mir unangenehm, Sie mit alldem zu behelligen, Dr. Johanson«, sagte er.
»Aber Sie sind im Team.«
»Ja. Offensichtlich.«
»Uberall auf der Welt laufen die Dinge aus dem Ruder. Unglucksfalle, Anomalien … Die Leute sind dunnhautig geworden, und Olkonzerne geben gute Sundenbocke ab. Wir durfen jetzt keinen Fehler machen. Konnen wir weiterhin auf Sie zahlen?«
Johanson seufzte. Dann nickte er.
»Das ist gut. Wir haben eigentlich auch nichts anderes von Ihnen erwartet. — Missverstehen Sie mich nicht, es ist ganz alleine Ihre Entscheidung! Aber Sie werden vielleicht noch mehr Zeit investieren mussen in Ihre Aufgabe als Wissenschaftlicher Koordinator, und so haben wir uns erlaubt, vorsorglich mit der NTNU daruber zu sprechen.«
Johanson richtete sich auf. »Sie haben was?«
»Um offen zu sein, wir haben um Ihre vorubergehende Freistellung gebeten. Ich habe Sie au?erdem in Regierungskreisen empfohlen.«
Johanson starrte zuerst Skaugen an, dann Lund. »Augenblick mal«, sagte er.
»Es ist eine richtige Forschungsstelle«, warf Lund hastig ein. »Statoil stellt ein Budget, und du bekommst jede Unterstutzung.«
»Ich hatte es vorgezogen …«
»Sie sind verargert«, sagte Skaugen. »Das verstehe ich. Aber Sie haben gesehen, wie dramatisch die Situation am Hang ist, und augenblicklich wei? kaum jemand besser daruber Bescheid als Sie und die Leute von Geomar. Sie konnen naturlich ablehnen, aber dann … Bitte bedenken Sie, dass es eine Aufgabe im Interesse der Allgemeinheit ware.«
Johanson wurde beinahe schlecht vor Zorn. Er fuhlte eine scharfe Erwiderung aufsteigen und schluckte sie hinunter. »Verstehe«, sagte er steif.
»Und wie lautet Ihre Entscheidung?«
»Dieser Aufgabe werde ich mich naturlich nicht verschlie?en.«
Er warf Lund einen Blick zu, von dem er hoffte, dass er sie zumindest durchbohrte, wenn nicht in Stucke schnitt. Sie hielt eine Weile stand, dann sah sie weg.