Auch Broughton hatte den Kopf gewandt und sah ihn an — kalt und nachdenklich.»Zwei seiner Genossen haben bereits gegen ihn ausgesagt, er sei nach Gates der Radelsfuhrer gewesen. «Eine Sekunde lang schimmerte etwas wie Mitleid in seinen Augen auf.»Kann sein, sie wollten sich an ihm rachen, weil er gegen Gates war. Sie konnen aber auch genausogut ordentliche und loyale Matrosen sein. «Er bekam ganz schmale Lippen.»Das ist nicht mehr meine Sache. Meine Sache ist das Geschwader, und ich werde dafur sorgen, da? es jede ihm gestellte Aufgabe erfullt, und zwar ohne Einmischung. «Sein Blick lag wie festgeschmiedet auf Bolitho.»Von keiner Seite.»

Dann klopfte er mit den Knocheln auf den Tisch.»Fuhrt den Gefangenen herein!»

Bolitho sa? reglos im Stuhl, als Taylor zwischen zwei MarineInfanteristen eintrat. Steif marschierte Hauptmann Giffard hinter ihnen her. Taylor sah bleich, aber gefa?t aus, und als er Bolitho erblickte, flog ein Schimmer des Erkennens uber sein Gesicht.

Broughton musterte ihn kalt.»John Taylor, Ihr seid der konspirativen Meuterei und der Insurrektion auf Seiner Britannischen Majestat Schiff Auriga angeklagt, und zwar in Gemeinschaft mit einem anderen, der noch in Freiheit ist. Ihr seid vorgeladen, um Euer Urteil zu horen. «Er tippte die Fingerspitzen aneinander und fuhr fort:»Mit Eurer Verraterei zu einer Zeit, da England um sein Leben kampft, habt Ihr Euch als ein Mann ohne Stolz und Gewissen gezeigt und Euch au?erhalb der Gemeinschaft gestellt. Ihr als ausgebildeter Bootsmannsmaat, dem Eure Vorgesetzten vertrauten, habt die Flotte betrogen, die Euch Euren Lebensunterhalt gewahrt.»

Taylor war wie betaubt.»Das stimmt nicht«, erwiderte er ganz leise.»Das ist nicht wahr.»

«Wie dem auch sei«, sprach Broughton weiter, lehnte sich in seinen Sessel zuruck und blickte zu den Decksbalken auf,»in Anbetracht Eurer bisherigen Verdienste und all dessen, was mein Flaggkapitan zu Euren Gunsten gesagt und getan hat. «Er brach ab, denn Taylor war mit einem plotzlichen Hoffnungsschimmer in den Augen einen halben Schritt vorgetreten. Ein Seesoldat zog ihn zuruck, und Broughton fuhr fort:». habe ich mich entschlossen, nicht die Hochststrafe zu ve r-hangen, die in Eurem Falle meiner personlichen Ansicht nach gerechtfertigt ware.»

Verwirrt wandte Taylor den Kopf und blickte Bolitho an.»Danke, Sir! Gott segne Sie«, flusterte er kaum horbar.

Das schien Broughton nur zu irritieren.»Statt dessen werdet Ihr zu zwei Dutzend Peitschenhieben und Degradierung verurteilt.»

Mit Tranen der Bewegung in den Augen nickte Taylor.»Danke,

Sir.»

Broughtons Stimme war messerscharf.»Zwei Dutzend Hiebe von jedem Schiff, das hier in Falmouth liegt. «Er nickte der Wache zu.»Fuhrt den Gefangenen ab.»

Taylor sagte kein Wort, als die Seesoldaten ihn umdrehten und hinausfuhrten.

Bolitho starrte auf die geschlossene Tur, auf die Stelle, wo Taylor gestanden hatte. Ihm war, als sei die Kajute plotzlich ganz eng. Als sei er selbst und nicht Taylor verurteilt worden.

Broughton erhob sich und sagte kurz:»Begeben Sie sich wieder auf Ihre Schiffe, meine Herren, und lesen Sie die neuen allgemeinen Dienstbefehle, die Mr. Calvert Ihnen aushandigen wird. Der Strafvollzug findet morgen fruh um acht Glasen statt. Normale Prozedur. »

Als sie einzeln hinter Calvert hinausgegangen waren, fragte Bolitho leise:»Warum, Sir? Im Namen des Allmachtigen, warum?»

Mit ausdruckslosen Augen sah Broughton an ihm vorbei.»Weil ich es befehle.»

Ganz betaubt von Broughtons so unerwartet brutalem Urteil nahm Bolitho seinen Hut.

«Noch weitere Befehle, Sir?«Er wu?te selbst nicht, wie er es schaffte, so dienstlich unbewegt zu sprechen.

«Ja. Ubermitteln Sie Captain Brice meine Order, das Kommando uber die Auriga wieder zu ubernehmen. «Sekundenlang sah er Bolitho ins Gesicht.»Ich habe die Verantwortung. Und die Verfugungsgewalt.»

Bolitho hielt seinem Blick stand und erwiderte:»Wenn Taylor eine regelrechte Kriegsgerichtsverhandlung bekommen hatte, Sir. «Er hielt inne, denn er merkte, da? er in die Falle gegangen war.

Broughton lachelte freundlich.»Ein regulares Kriegsgericht hatte ihn gehangt, das wissen Sie genau. Aber es hatte so lange gedauert, da? es kein abschreckendes Beispiel mehr gewesen ware, und Milde ware sinnlos. Wie die Dinge jetzt liegen, wird Taylors Bestrafung diesem Geschwader eine Warnung und ein abschreckendes Beispiel sein, und das haben wir verdammt notig. Vielleicht uberlebt er es ja auch, und dann hat er von der Tatsache profitiert, da? seine personliche Radelsfuhrerschaft nur kurze Zeit gedauert hat; dann kann er sich bei Ihnen dafur bedanken.»

Als Bolitho sich zum Gehen wandte, sagte er noch:»Dienstbesprechung hier an Bord gleich nach Ende des Strafvollzugs. Geben Sie Signal an alle Kommandanten: >Melden an Bord des Flaggschiffes um…<«Er zog seine Uhr.»… aber das kann ich wohl Ihnen uberlassen. Ich bin bei einem der hiesigen Ratsherren zum Dinner eingeladen. Ein Mann namens Roxby. Kennen Sie ihn?»

«Mein Schwager, Sir. «Bolithos Gesicht war steinern.

«Tatsachlich?«Broughton ging zu seiner Schlafkajute.»Ihre Familie sitzt anscheinend uberall. «Damit warf er die Tur ins Schlo?.

Wie ein Blinder ging Bolitho zum Achterdeck. Schon fielen die Schatten schrager, denn die sinkende Sonne beruhrte bereits den Arm der Bucht. Ein paar Matrosen lungerten auf den Decksgangen herum, und vom Vorschiff klangen die klaglichen Tone einer Fiedel. Der Wachoffizier ging auf die andere Seite hinuber, damit Bolitho seine gewohnte Ruhe hatte, und von den Bootsblocken ertonte das schrille Lachen zweier Midshipmen, die einander um die Wanten des Gro?mastes jagten. Bolitho stutzte die Hande auf das Schanzkleid und starrte ohne zu blinzeln in die feurige Sonne. Nach Auf- und Abgehen war ihm jetzt nicht zumute, und wohin er auch sah, sah er immer Taylors Gesicht, seine ruhrende Dankbarkeit fur die zwei Dutzend Hiebe, die sich in furchtbaren Schrecken verwandelte, als er das ganze Urteil horte. Jetzt war er unter Deck, horte das Lachen der Midshipmen und das klagende Lied des Fiedlers. Vielleicht spielte er seinetwegen etwas so Melancholisches. In diesem Fall war Broughtons grausame Abschreckung bereits umsonst, dachte er bitter.

Sein Blick glitt zur Auriga hinuber, die sanft an ihrem Kabel schwojte. Manche mochten sagen, mit Taylor werde ein Mann fur viele geopfert. Hatte Bolitho nicht eingegriffen, so ware jeder einzelne Meuterer gepeitscht oder noch schlimmer bestraft worden, oder aber das Schiff ware tatsachlich in Feindeshand gefallen.

Aber andere mochten dagegen einwenden: wie es auch ausgegangen ware, Gerechtigkeit in der Flotte sei nicht durch das Auspeitschen einzelner Sundenbocke zu erreichen. So ein Sundenbock war Taylor — Bolitho wu?te es und schamte sich deswegen.

Mit leeren Augen starrte Bolitho durch das gro?e Heckfenster seiner Kajute, als Allday eintrat und meldete:»Alles klar, Captain.»

Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er den alten Degen vom Halter an der Schottwand, drehte ihn in den Handen und rieb den altersgeschwarzten Griff an seinem Jackenarmel. Dann sagte er gelassen:»Sie haben Ihr Bestes getan, Captain. Es hat keinen Zweck, sich Vorwurfe zu machen.»

Bolitho hob die Arme, damit sein Bootsfuhrer ihm den Degen umschnallen konnte, und lie? sie dann fallen. Durch die dicken Glasfenster sah er die ferne Stadt leise schwanken, denn die Euryalus dumpel-te gemachlich in Wind und Tidenstrom. Wieder wurde er sich der Totenstille bewu?t, die sich uber das Schiff gesenkt hatte, seit Kever-ne heruntergekommen war und ihm gemeldet hatte, da? das Deck klar und es kurz vor acht Glasen sei.

Er nahm seinen Hut und blickte sich kurz in der Kajute um. Ein guter Tag zum Auslaufen. Eine frische sudwestliche Brise war aufgekommen, die Luft war frisch und sauber. Mit einem Seufzer ging er am Tisch und dem unberuhrten Fruhstuck vorbei durch die Tur mit dem strammstehenden Posten davor und trat hinaus auf das sonnenhelle Achterdeck.