XIV Ein Ort des Grauens
Die gebo gene Steintreppe zur obersten Brustwehr kam Bolitho endlos vor. Atemlos sturmte er auf das offene Sims zu, wo der Rauch immer noch an den Sternen vorbeitrieb, und wo das Rufen und Schreien immer lauter wurde, einzelne Musketenschusse krachten und uber all dem Larm mahnend ein Trompetensignal erscholl. Inchs Morser schwiegen zur festgesetzten Minute, und ware der Angriff nicht auch zeitlich so sorgfaltig abgestimmt worden, hatte ein weiterer Schu? der Hekla die brullend vorwartssturmenden Matrosen toten konnen, ehe sie auch nur ihr erstes Teilziel erreicht hatten.
Von unten, wo der Kutter am Steg auf Grund gelaufen war, horte Bolitho ebenfalls Schreie und Kommandorufe, als die Boote eins nach dem anderen durch den zerstorten Eingang kamen und die Mannschaften sich in den Qualm sturzten, ehe die Fahrzeuge richtig festgemacht hatten.
Drau?en, auf dem breiten Sims der Hauptbatterie, stand Allday an seiner Seite; er spurte die kuhle Nachtluft im Gesicht. Er konnte den kleineren Mittelturm sehen, die eckigen, gedrungenen Formen der schweren Geschutze, hin und her laufende Gestalten, die aus allen Richtungen zu kommen schienen.
Die spanischen Soldaten hatten endlich erkannt, da? eine der betaubenden Detonationen, die sie aus dem Schlaf gerissen hatten, nicht von einem Morser stammte. Jetzt stromten sie aus dem mittleren Turm, luden und schossen bereits im Laufen; ein Teil der Kugeln flog ohnmachtig in die Nacht hinaus, andere rissen vorwartssturmende Matrosen zu Boden. Auch aus dem Schatten unter der Brustwehr ertonten Schmerzensschreie.
Wahrend Bolitho mit seinen Leuten die Stufen ersturmte und dabei fast uber zwei ineinander verschlungene Tote gestolpert ware, gab er Bickford ein Zeichen mit dem Degen.
«In den Turm! So schnell Sie konnen!»
Bickford antwortete nicht erst, sondern rannte blindlings uber die offene Flache.»Mir nach!«brullte er seinen Mannern zu, den Mund wie ein schwarzes Loch im kreidewei?en Gesicht.
Bolitho blieb stehen und sah zu den Stufen hin. Wo blieb Lucey? Er hatte bereits hier sein mussen, um den Angriff zu unterstutzen und den weiten Hof auf der anderen Seite des Kastells zu besetzen. Schusse fuhren krachend und blitzend in die innere Mauer. Stahl klang auf Stahl, dazwischen kurze verzweifelte Schreie und Fluche.
Allday brullte:»Das Wachboot ist hinter ihnen reingekommen, Cap-tain!«Er deutete mit seinem Entersabel in eine tiefe Scharte.»Mr. Luceys Jungs kampfen mit ihnen!»
Schon kamen etliche von Luceys Mannern die Stufen hinaufgerannt, wahrend andere auf dem Steg, von oben nicht zu sehen, noch mit der Besatzung des Wachbootes im Handgemenge lagen.
Von irgendwoher kam ein heiseres Hurra; ein flaches Gebilde schob sich durch die Bresche, und Allday keuchte:»Da ist die Gig, Captain, und keinen verdammten Augenblick zu fruh!»
Jetzt waren die Angreifer in der Uberzahl; die Manner des Wachbootes, von zwei Seiten in die Zange genommen, warfen die Waffen weg, und ihre Stimmen gingen im Siegesgeschrei der Matrosen unter.
Aber die Verzogerung durch das Wachboot hatte wertvolle Minuten gekostet, die Bolitho gebraucht hatte, um rechtzeitig die andere Treppe zu erreichen, welche in den Festungshof fuhrte. Schon als er seine Manner einwinkte, sah er die Mundungsfeuer einer geschlossenen Reihe von Musketen, horte eine Kugel dumpf in Muskeln und Knochen schlagen und neben sich einen Aufschrei. Der Vorsto? der Matrosen stockte; einige blieben auf den Stufen stehen, obwohl Manner aus den Booten nachdrangten.
«Los, Allday!«befahl Bolitho.»Jetzt oder nie!»
Allday schwang seinen Entersabel und brullte:»Recht so, Jungs! Sto?t die Tur zu den bloden Ochsen auf!»
Und wieder stie?en sie vor. Ein Mann neben Bolitho sank mit einem Schrei zu Boden — der Ladestock einer Muskete stak in seinem Hals. Der Schutze mu?te durch den Blitzangriff so durcheinander gewesen sein, da? er vergessen hatte, ihn nach dem Laden herauszuziehen.
Von uberallher kamen ihnen jetzt plotzlich Soldaten entgegen, aus allen Ecken, von jeder Richtung. Und in der nachsten Sekunde klang Stahl auf Stahl im Kampf Mann gegen Mann. Sie hieben in der Dunkelheit um sich, mancher sturzte in das Blut seines Kameraden, ein spanischer Offizier hatte einen brullenden Matrosen niedergehauen und kam auf Bolitho zugerannt. Bolitho ri? seine Pistole aus dem Gurtel und druckte ab. Im hellen Mundungsfeuer sah er, wie die Schadeldecke des Offiziers barst und die Wand hinter ihm mit Blut und Hirn bespruhte.
Lucey rannte an ihm vorbei, tranenuberstromt, aber mit zusammengebissenen Zahnen, von der wilden Kampfgier seiner Matrosen mitgerissen.
«Da ist die Treppe!«schrie Allday und hieb mit seinem Entersabel nach einem Mann, der an der Mauer kniete. Vielleicht wollte er seine Muskete laden oder sich auch nur beim Aufstehen auf sie stutzen, weil er verwundet war. Ohne einen Laut sank er tot zu Boden.
Im hinteren Teil des Hofes brannte eine Laterne; und als sie halb laufend, halb fallend die Treppe herunterkamen, sah Bolitho, da? sich dort eine Abteilung Soldaten zum Widerstand formierte. Manche waren nur halb bekleidet; andere mit Staub und Mauerbrocken vom
Bombardement der Morser bedeckt, so da? sie aussahen wie Mullersknechte.
Ein Offizier ri? seinen Degen abwarts, und eine Salve krachte aus den schwankenden Musketen. Mehrere britische Matrosen sturzten verwundet zu Boden, aber die Soldaten hatten schlecht gezielt, und zu einer zweiten Salve blieb ihnen keine Zeit mehr.
Wieder wurde Mann gegen Mann gekampft, Blut spritzte uber Sieger und Besiegte gleicherma?en, niemand dachte an etwas anderes als an Toten und Uberleben.
Aus dem Augenwinkel sah Bolitho Midshipman Dunstan, der die Gig gesteuert hatte und jetzt seine Abteilung um die Rundung der Mauer zum massiven Doppeltor fuhrte. Ein Soldat sprang auf ihn zu, stie? ihm die Mundung der Pistole direkt vor die Brust und druckte ab. Aber es war ein Versager, und ehe der ungluckselige Spanier zuruckspringen konnte, wurde er von einem untersetzten Stuckmeistersmaaten niedergehauen und erhielt noch mehrere Sabelhiebe von den brullend vorsturmenden Matrosen.
«Sehen Sie, Captain!«keuchte Allday.»Mr. Bickford hat den inneren Turm genommen!«Wei? glanzten seine Zahne im emporgereckten Gesicht, und Bolitho sah, da? jemand auf der oberen Brustwehr eine Laterne schwenkte — noch vor ein paar Stunden hatte dort oben die spanische Flagge hohnisch geweht.
In diesem Moment sprangen die Tore auf; Bolitho rannte uber den unebenen Hof und erkannte zu seinem Schrecken: hinter dem Tor war niemand.
«Jesus«, sagte Allday,»wo sind die verdammten Bullen?»
Noch mehr spanische Soldaten kamen aus dem anderen Tor am Fu?e der inneren Mauer gerannt; auf ein lautes Kommando eroffneten sie das Feuer uber die Kopfe ihrer versprengten Kameraden hinweg. Dann sturzten sie sich mit aufgepflanzten Bajonetten auf die Angreifer.
Bolitho hob den Degen.»Standhalten, Jungs!«Seine Stimme ri? die Manner herum, und er war uberrascht, da? sie so fest klang. Und doch drehte sich alles in seinem Kopf, weil Giffards Marine-Infanteristen nicht da waren und seine kleine Truppe bereits gespalten war. Bick-ford hielt den inneren Turm, aber solange sich die untere Garnison und der Hof nicht in ihren Handen befanden, war er eher Gefangener als Sieger.
Keuchend, brullend, wie wutende Damonen prallten die schattenhaften Gestalten aufeinander. Die Matrosen mit den Enterpiken waren den Bajonetten gewachsen, doch die, welche nur Sabel hatten, waren dem Tode geweiht; ihre blutenden Leiber wurden nur noch durch den Druck der Kampfenden aufrecht gehalten.
Bolitho fuhrte einen Hieb zum Hals eines Soldaten, dessen Gesicht sich im Todeskampf zu einer grotesken Maske verzerrte, ehe er unter der schwankenden, um sich hauenden Masse der Manner verschwand. Ein anderer versuchte, ihn mit seinem Bajonett uber die Schulter eines Kameraden zu erreichen, doch eine Pike stach zu, und er sturzte zu Boden.