«Was kann ich fur Euch tun?»
Der Mann war untersetzt und muskulos, tiefgebraunt und trug sein Haar in einem altmodischen Zopf. Er hatte einen Rock an, der ihm viel zu klein war, und Bolitho kam auf die Idee, da? er ihn nur trug, damit man nicht gleich sah, da? er Seemann war. Aber schon die weiten Hosen waren unverkennbar. Auch wenn er splitternackt gewesen ware, hatte man gewu?t, da? er Seemann war.
«Entschuldigung, da? ich so frei bin, Sir. «Er klopfte gru?end mit der Faust an die Stirn; dabei flitzten seine Augen durch den Raum.»Mein Name ist Taylor, Steuermannsmaat auf der Auriga, Sir.»
Bolitho sah ihn ruhig und aufmerksam an. Er sprach mit einem leichten Nordengland-Tonfall und war offensichtlich nervos. Ein Deserteur, der auf Gnade hoffte, oder auf einem anderen Schiff untertauchen wollte? Es war gar nicht so ungewohnlich, da? solche Leute wieder in die eine und einzige Welt zuruckwollten, wo sie mit ein bi?chen Gluck Sicherheit finden konnten.
Rasch fuhr Taylor fort:»Ich war bei Ihnen auf der Sparrow, Sir. Damals im Jahr 79, in Westindien. «Gespannt blickte er Bolitho an.»Ich war Topsgast.»
Langsam nickte Bolitho.»Naturlich, ich erinnere mich jetzt. «Auf der kleinen Korvette Sparrow, seinem allerersten Kommando, als er dreiundzwanzig war, als das Leben noch Spa? machte und ihm die ganze Welt ein Tummelplatz fur seinen grenzenlosen Ehrgeiz schien.
«Wir horten, Sie sind zuruck, Sir. «Taylor redete sehr schnell.»Und weil ich Sie sozusagen kenne, haben sie mich gewahlt, da? ich zu Ihnen geh'n soll. «Er lachelte bitter.»Hab erst gedacht, ich mu?t 'n Boot klauen oder zu Ihrem Schiff schwimmen. Aber Sie sind ja an Land, da war's einfacher, sozusagen. «Unter Bolithos starrem Blick schlug er die Augen nieder.»Seid Ihr in Schwierigkeiten, Taylor?»
Mit plotzlicher Abwehr im Blick schaute der Mann auf.»Hangt von Ihnen ab, Sir. Mich haben sie gewahlt, da? ich mit Ihnen spreche, und weil ich wei?, da? Sie 'n fairer und gerechter Kapt'n sind, Sir, hab ich mir gedacht, Sir, Sie wurden mich vielleicht anhoren…»
Brusk stand Bolitho auf und sah ihn fest an.»Wo liegt Euer
Schiff?»
Taylor deutete mit dem Daumen uber die Schulter.»Ostwarts an der Kuste, Sir. «Etwas wie Stolz erhellte sein tief gebrauntes Gesicht.»Fregatte, sechsunddrei?ig Geschutze, Sir.»
«Ah. «Langsam schritt Bolitho an den leeren Kamin und wieder zuruck.»Und Ihr und Euresgleichen habt das Schiff in Eure Gewalt gebracht, ist es so? Seid Ihr ein Meuterer?«Der Mann zuckte zusammen.»Wenn Ihr mich kennt, wirklich kennt, mu?tet Ihr wissen, da? ich nicht mit Leuten verhandle, die ihr Land verraten haben«, schlo? Bolitho hart.
Leise erwiderte Taylor:»Wenn Sie mich zu Ende anhoren wollen, Sir — mehr will ich ja gar nicht. Dann konnen Sie mich hangen lassen, wenn Sie wollen — das wei? ich.»
Bolitho bi? sich auf die Lippen. Einfach hierherzukommen, dazu gehorte Mut. Mut und noch etwas anderes. Dieser Taylor war kein frisch gepre?ter Mann, kein Querulant vom unteren Deck. Er war Berufsseemann. Es konnte nicht leicht fur ihn gewesen sein. Jede Minute seines Weges nach Falmouth hatte ihn jemand sehen konnen, der sich bei den Behorden in ein gunstiges Licht setzen wollte, und sogar in diesem Moment konnte eine Patrouille zum Stadttor unterwegs sein.
«Schon«, sagte er,»ich kann Euch nicht versprechen, da? ich Euren Ansichten zustimme, aber anhoren will ich Euch. Das ist alles, was ich sagen kann.»
Taylor schien etwas erleichtert.»Wir gehoren zur Kanalflotte, Sir, und waren zwei Jahre lang standig im Dienst. Wir hatten nich' viel Ruhe, denn Fregatten sind knapp, wie Sie ja wissen. Wir waren in
Spithead, als die Geschichte vorigen Monat losging, aber unser Kapt'n stach in See, bevor wir unsere Solidaritat mit den anderen zeigen konnten. «Er pre?te die Hande zusammen und fuhr bitter fort:»Ich mu? Ihnen das sagen, Sir, damit Sie verstehen. Unser Kapt'n ist ein harter Mann, und der Erste Offizier hat sich angewohnt, die Leute so zu piesacken, da? kaum einem der Rucken nich' von der Katze[11] zerfetzt is'!»
Bolitho pre?te die Hande zusammen. Ich mu?te ihm jetzt das Wort abschneiden, ehe er noch mehr sagt; schon indem ich ihm zuhore, habe ich mich auf Gott wei? was eingelassen, dachte er. Doch er entgegnete nur kalt:»Wir sind im Krieg, Taylor. Die Zeiten sind eben hart, fur Offiziere ebenso wie fur Matrosen.»
Doch Taylor war hartnackig.»Als die Geschichte in Spithead losging, waren sich die Delegierten daruber einig, da? wir raussegeln und gegen die Frogs[12] kampfen. Da war kein einziger Mann, der nich' loyal gewesen ware, Sir. Aber manche Schiffe haben eben schlechte Offiziere, Sir, das kann keiner bestreiten. Da gibt's welche, die haben seit Monaten keinen Sold bekommen, und die Leute sind halb tot vor Hunger, weil das Fleisch so schlecht is'. Der Schwarze Dick — «, Taylor errotete — ,»'tschuldigung, Sir, ich meine Lord Howe, hat mit den Delegierten gesprochen, und da war alles klar. Er is' auf ihre Forderungen eingegangen, so gut er konnte. «Bose zog er die Brauen zusammen.»Aber die Auriga war zu der Zeit auf See, fur uns galt das anscheinend nich'. Im Gegenteil, unser Kapt'n wurde immer schlimmer statt besser! Und das is' die Wahrheit, ich schwor 's Ihnen!»
«So habt ihr also das Schiff in eure Gewalt gebracht?»
«Aye, Sir. Bis uns Gerechtigkeit zugesichert wird. «Er sah zu Boden.»Wir haben gehort, da? wir zu diesem neuen Geschwader kommen sollen, unter Vizeadmiral Broughton. Das bedeutet, wir sind vielleicht wieder jahrelang weg von England. Es is' nich' fair, was man uns angetan hat. Wir haben Admiral Broughton in Spithead gesehen. Er soll 'n guter Offizier sein, aber er wurde machtig hart durchgreifen, wenn 's wieder Arger gibt.»
«Und wenn ich Euch sage, da? da nichts zu machen ist — was dann?»
Taylor sah ihm in die Augen.»Es gibt 'ne ganze Menge an Bord, die schworen, sie hangen uns sowieso alle. Die wollen das Schiff nach Frankreich segeln und es da gegen ihre Freiheit eintauschen. «Er bi? die Zahne zusammen.»Aber ich und noch andere, wir wollen das nich'. Wir wollen nur unser Recht — wie die Jungs in Spithead.»
Bolitho kniff die Augen zusammen. Wieviel wu?te Taylor von den Unruhen in der Nore-Flotte? Vielleicht war er aufrichtig, vielleicht war er aber auch das Werkzeug in den Handen eines erfahreneren Aufruhrers. Was er da von seinem Schiff gesagt hatte — daran war kaum zu zweifeln.
«Hat es Verletzte bei den Offizieren gegeben?»
«Keinen einzigen, Sir, auf mein Wort. «Beschworend breitete Taylor die Hande aus.»Wenn Sie uns versprechen, da? Sie unsere Sache dem Admiral unterbreiten, Sir, dann wurde das machtig viel ausmachen. «Der Anflug eines Lachelns huschte uber seine rauhen Zuge.»Ich glaube, der Master und der eine oder andere Leutnant sind ganz froh, da? es so gekommen is'. Das war 'n machtig ungluckseliges
Schiff, Sir.»
Bolithos Gedanken rasten. Vizeadmiral Broughton war vielleicht in London, er konnte aber auch sonstwo sein. Bis er seine Flagge auf der Euryalus hi?te, war Konteradmiral Thelwall sein direkter Vorgesetzter, und der war zu krank, als da? man ihn mit so etwas belasten konnte. Da waren auch noch Captain Rook und der Garnisonskommandant von Falmouth. Dann gab es wahrscheinlich Dragoner in Truro und den Hafenadmiral in Plymouth, drei?ig Meilen weit weg. Und alle waren sie bei diesem Zeitdruck gleicherma?en nutzlos.
Wenn tatsachlich eine Fregatte zu den Franzosen uberlief, dann konnte das wie ein Signal auf die Manner der Nore wirken, die noch am Rande der Meuterei standen. Denen mochte es als ein letztes Mittel erscheinen, wenn sonst nichts mehr half. Und wenn die Franzosen etwas davon erfuhren, konnten sie unverzuglich eine Invasion starten. Bei dem blo?en Gedanken lief es Bolitho eiskalt den Rucken hinunter. Unvorstellbar, da? eine verwirrte und demoralisierte Flotte vernichtet wurde, blo? weil er sich nicht zu handeln getraut hatte. Eventuelle spatere personliche Konsequenzen durften da keine Rolle spielen.