Als acht Glasen angeschlagen wurden und die Vormittagswache den Dienst ubernahm, war das kleine Geschwader bereits sieben Meilen von Land entfernt.
Bolitho sa? in seiner Heckkajute auf der Sitzbank und ruhte sich aus. Er konnte eben noch die Valorous vor dem verschwimmenden Land ausmachen, das nur noch Dunst war, einer dunkelroten Wolkenbank ahnlich, uber der sich der schwarzliche Qualm aus der Festung
Djafou erhob und wie ein machtiger Pilz den blauen Himmel besudelte.
Er dachte an Lucey und Lelean, an Witrand und viele andere, die fur immer dort geblieben waren. Von ihnen war Draffen der einzige, der mit dem Geschwader segelte, denn sein Leichnam war sorgfaltig in einem Fa? Rum konserviert, um in England ein wurdigeres Begrabnis zu erhalten.
Bolitho lehnte sich auf das Fenstersull, das wohlbekannte Knarren von Stagen und Wanten im Ohr, und versuchte, seine Schulter in eine Stellung zu bringen, in der ihm das langsame Rollen des Schiffes nicht noch mehr Schmerzen verursachte.
Wieder einmal hatte er das Schicksal uberlistet. Er fa?te an seine Schulter und zuckte zusammen. Bald mu?te der Verband gewechselt werden, und er wurde wieder nicht zu atmen wagen aus Angst, da? die Wunde schlimmer geworden sei.
Dann dachte er an Catherine Pareja und ihre letzte gemeinsame Nacht im Turm. Ihr wildes Begehren hatte alles so einfach gemacht — und dann hatten sie ganz still nebeneinander gelegen und auf das Murmeln der unten an die Felsen schlagenden Wellen gelauscht. Ware es auch geschehen, wenn er nicht so schwer verwundet gewesen ware? Hatte er es dann so weit kommen lassen? Er dachte an ihre zartlichen Arme, da wu?te er die Antwort.
Spargo, der Schiffsarzt der Euryalus, hielt Bolitho seine breite, haarige Hand hin und sagte:»Hier, fassen Sie mal fest zu, Sir!»
Bolitho stand vom Schreibtisch auf.»Er ist ein harter Lehrmeister«, sagte er zu Keverne und lachelte dabei, um seine Angst zu verbergen.»Ich furchte, wir geben ihm nicht genug zu tun. «Dann fa?te er Spar-gos Hand, und der Krampf ri? in seinem Arm, als er mit aller Kraft zudruckte.
Es war drei Tage her, da? das Geschwader von Djafou ausgelaufen war, und seitdem hatte Spargo alle paar Stunden den Verband kontrolliert, die Wunde angesehen und betastet, bis Bolitho dachte, diese Qualerei wurde nie ein Ende nehmen.
Spargo lie? Bolithos Hand los.»Gar nicht so ubel, Sir. «Er sprach mit widerwilliger Befriedigung, was, wie Bolitho bereits herausgefunden hatte, seine Art war, jemanden fur eine gute Leistung zu loben.»Aber erst mussen wir mal sehen. «So redete er immer — seine Skepsis war wie ein Treibanker, sozusagen eine Ruckversicherung fur alle
Falle.
Keverne jedenfalls schien etwas beruhigter zu sein.»Ich darf wohl jetzt gehen, Sir. Fur heute sind wir ja mit den Schiffsangelegenheiten fertig.»
Vorsichtig legte Bolitho den Arm wieder in die Schlinge und trat ans Fenster. Eine gute halbe Meile achteraus nahm die Valorous Bramsegel weg; wie kleine schwarze Flecken sahen die Matrosen aus, die auf den Rahen mit der salzverharteten Leinwand kampften. Es war fast zwolf Uhr mittags. Drei Tage Kampf gegen einen ungewohnlich widerborstigen Wind; und alle Augen suchten den blinkenden Horizont nach einem Segel ab. Nach irgendeinem Segel.
Das Geschwader befand sich etwa vierzig Seemeilen vor Car-tagena, und ware ein Feind in Sicht gekommen, hatten sich Brough-tons Schiffe aus guter Gefechtsposition heraus zum Angriff formieren konnen. Wahrend er noch einen kurzen Blick auf die Papiere warf, die er mit Keverne durchgesprochen hatte, vernahm er Broughtons lebhafte Schritte in der Kajute uber der seinen, wo der Admiral einsam auf-und abwanderte und sich argerte, da? sich kein einziges Schiff zeigte und er infolgedessen nichts uber die Bewegungen des Feindes erfuhr. Er konnte Bolitho leid tun, denn, wie er wu?te, gab es bereits gewisse Komplikationen, die man nicht mehr allzu lange vor sich herschieben konnte.
Buddle, der Zahlmeister, war vormittags bei ihm gewesen und hatte ziemlich pessimistisch uber das knapp werdende Wasser und die Fasser mit ranzig gewordenem Fleisch berichtet. Im ganzen Geschwader war es ebenso. So viele Menschen lie?en sich eben auf Dauer nicht verpflegen, ohne da? die Vorrate von Zeit zu Zeit erganzt wurden; es war aber durchaus unsicher, ob und wann man Wasser und Proviant fassen konnte.
Mit einem Seufzer sah Bolitho zur Tur, die hinter dem Arzt ins Schlo? fiel.»Als Ersatz fur Lucey haben wir also Sawle zum Funften Offizier befordert«, uberlegte er laut.»Aber da bleibt immer noch eine Fehlstelle in der Offiziersmesse. Midshipman Tothill konnte vielleicht. Aber.»
«Er ist erst siebzehn«, wandte Keverne ein,»und mit Geschutzen hat er noch wenig Erfahrung. Auf jeden Fall ist er so gut beim Signaldienst, da? wir ihn dort jetzt nicht entbehren konnen. «Er grinste schadenfroh.»Meiner Ansicht nach, Sir.»
«Ich mu? Ihnen da leider beipflichten. Wir mussen eben sehen, wie wir auskommen. «Er horchte auf die Schritte oben.
Keverne legte die Papiere zusammen und fragte:»Wie stehen die Chancen fur Feindberuhrung, Sir?»
Er zuckte die Achseln.»Das wei? ich wirklich nicht. «Wenn doch Keverne endlich gehen wollte, damit er Arm und Schulter testen konnte, dachte er.»Die Coquette und die Restless mu?ten jetzt vor Cartagena kreuzen. Vielleicht kommen sie bald mit einer Nachricht wieder.»
Es klopfte, und Midshipman Ashton trat ein. Er trug keinen Kopf verband mehr und schien sich besser erholt zu haben, als zu erwarten gewesen war.
«Sir — Mr. Weigall meldet: Segel in Nordwest.»
Bolitho sah Keverne lachelnd an.»Eher als ich dachte. Ich komme an Deck.»
Auf dem Achterdeck war es gluhend hei?, und obwohl die Segel gut unter einem stetigen Nordwest zogen, bot dieser Wind den Mannern der Wache nicht viel Erfrischung.
Weigall behielt die Kampanje scharf im Auge, um Bolitho nur ja nicht zu verpassen.
«Der Ausguck meldet, sie sieht wie eine Fregatte aus, Sir.»
Wie zur Bestatigung ertonte es von oben:»Is' die Coquette, Sir!»
Eilig wie immer erschien Broughton an Deck.»Nun?»
Ashton enterte bereits mit einem gro?en Teleskop ein Stuck in die Wanten auf, und Bolitho sagte lachelnd:»Was taten wir ohne Fregatten?»
Minuten verstrichen. Am Kompa? drehte ein Schiffsjunge unter Partridges wachsamen Augen das Halbstundenglas um.
Dann rief Ashton:»Signal von Coquette, Sir!«Eine ganz kleine Pause.»Negativ!»
Broughton wandte sich ab.»Also niemand mehr da. Alle Schiffe unterwegs!«knurrte er wutend und starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne.»Wir mussen sie verpa?t haben, Bolitho! Herrgott, die sehen wir nie wieder.»
Die Fregatte ging auf neuen Kurs, der gro?e, schwarz-wei?e Signalwimpel stand noch steif an der Rah. Ein Wimpel nur, doch fur Broughton und vielleicht fur manchen anderen bedeutete er so viel!
Die feindlichen Schiffe hatten den Hafen verlassen und konnten jetzt praktisch uberall sein. Wahrend sich das Geschwader bei Djafou herumgetrieben, die Festung genommen und dann zerstort hatte — im Endeffekt ein fruchtloses Unternehmen — , war der Feind verschwunden.
«Hol sie allesamt der Teufel!«murmelte Broughton resigniert. Da rief der Ausguck:»Die Valorous hat Signal gesetzt, Sir!«Bolitho fuhr auf.
Bitter bemerkte der Admiral:»Fourneaux wird auch schon Halluzinationen haben!»
Doch alle fuhren herum, als Tothills schrille Stimme erscholl:»Signal von Valorous, Sir: >Fremdes Segel in Peilung West!<»
«Mu? fast genau achteraus sein, Sir«, sagte Bolitho und befahl sodann:»Mr. Keverne, informieren Sie das Geschwader!»
Broughton war vor Ungeduld fast au?er sich.»Die dreht bestimmt ab, sobald sie uns sieht!«Er spahte zur Coquette hinuber.»Aber es hat keinen Zweck, Gillmor hinzuschicken. Er kommt nicht rechtzeitig genug gegen den Wind auf, um sie anzugreifen.»