Und dann geschah etwas, auf das ihn nichts hatte vorbereiten konnen: Harry spurte, wie er den Boden unter den Fu?en verlor. Etwas hob ihn in die Luft, und Voldemort genauso, wahrend ihre Zauberstabe durch den schimmernden Faden aus goldenem Licht verbunden blieben. Sie schwebten weg von dem Grabstein und sanken dann wieder zu Boden, auf ein graberloses, ebenes Stuck Erde… Die Todesser riefen und schrien durcheinander und flehten Voldemort an, ihnen Befehle zu erteilen; jetzt kamen sie zu ihnen, die Schlange glitt ihnen nach, und sie bildeten erneut einen Kreis um Harry und Voldemort, und einige zuckten den Zauberstab -

Der goldene Faden, der Harry und Voldemort verband, faserte sich jetzt auf: Zwar blieben die Zauberstabe verbunden, doch tausend neue Lichtfaden entstanden und wolbten sich uber Harry und Voldemort, schossen kreuz und quer uber sie, bis sie unter einem goldenen, kuppelformigen Netz eingeschlossen waren, einem Kafig aus Licht, jenseits dessen die Todesser, deren Schreie nun merkwurdig erstickt klangen, wie Schakale im Kreis herumhuschten…

»Tut nichts!«, kreischte Voldemort den Todessern zu, und Harry sah, wie sich seine roten Augen beim Anblick dessen, was um ihn her geschah, verblufft weiteten, sah, wie er sich muhte, den Lichtfaden zu zerrei?en, der immer noch seinen und Harrys Zauberstab verband; Harry packte den Zauberstab noch fester, umklammerte ihn nun mit beiden Handen, und der goldene Faden blieb unversehrt.»Tut nichts ohne meinen Befehl!«, schrie Voldemort den Todessern zu.

Und dann erfullte ein uberirdisch schoner Klang die Luft… er drang aus jedem Faden des Lichtgewebes uber ihnen und lie? die Luft um Harry und Voldemort erzittern. Es war ein Klang, den Harry wieder erkannte, obwohl er ihn erst einmal im Leben gehort hatte… es war der Gesang des Phonix…

Fur Harry war er die reine Hoffnung… das Schonste, das Willkommenste, das er je gehort hatte… er hatte das Gefuhl, der Gesang sei nicht nur um ihn her, sondern in ihm… es war der Klang, den er mit Dumbledore verband, und es war fast, als wurde ein Freund ihm ins Ohr sprechen…

»Lose die Verbindung nicht.«

Ich wei?, antwortete Harry der Musik, ich wei?, ich darf es nicht geschehen lassen… doch kaum hatte er es gedacht, wurde es viel schwerer, sein Zauberstab zitterte viel starker als zuvor… und nun veranderte sich der Strahl zwischen ihm und Voldemort… es war, als ob gro?e Lichtperlen an dem Faden zwischen den beiden Zauberstaben entlangglitten – Harry spurte den Zauberstab in seiner Hand erneut heftig zittern, wahrend die Lichtperlen langsam und stetig auf ihn zuglitten… die Kraft des Lichtstrahls war nun gegen ihn gerichtet und ging von Voldemort aus, und Harry spurte, wie sein Zauberstab zornig bebte…

Die vordere Lichtperle kam der Spitze seines Zauberstabs immer naher, das Holz zwischen seinen Fingern wurde so hei?, da? er furchtete, es wurde entflammen. Je naher die Lichtperle kam, desto heftiger bebte Harrys Zauberstab; gewi? wurde der Zauberstab die Beruhrung mit der Perle nicht uberstehen; er fuhlte sich an, als wurde er im nachsten Moment zwischen seinen Fingern zerbersten -

Mit jeder Faser seines Gehirns konzentrierte er sich darauf, die Perle zu Voldemort zuruckzudrangen, die Ohren erfullt vom Gesang des Phonix, die Augen lodernd, gebannt auf die Perle blickend… und langsam, ganz langsam, kamen die Perlen zitternd zum Stillstand, und dann, ebenso langsam, begannen sie in die andere Richtung zu gleiten… und es war Voldemorts Zauberstab, der nun gefahrlich zitterte… und es war Voldemort, dem das Erstaunen, ja, die Angst in den Augen stand…

Eine der Lichtperlen zitterte jetzt nur Zentimeter vor Voldemorts Zauberstab. Harry wu?te nicht, warum er es tat, wu?te nicht, was er damit erreichen konnte… doch er dachte mit allerletzter Kraft nur noch daran, da? er diese Lichtperle zuruckzwingen mu?te, hinein in Voldemorts Zauberstab… und langsam… sehr langsam… schwebte sie an dem goldenen Faden entlang… erbebte einen Moment lang… und dann beruhrte sie Voldemorts Zauberstab…

Im selben Augenblick drangen laut hallende Schmerzensschreie daraus hervor… und dann – Voldemorts rote Augen weiteten sich vor Schreck – flog eine Hand aus dickem Rauch aus der Spitze heraus und verschwand – der Geist der Hand, die er fur Wurmschwanz erschaffen hatte… wieder Schmerzensschreie… und dann erbluhte etwas viel Gro?eres aus der Spitze von Voldemorts Zauberstab, ein gro?es, graues Etwas, das aussah, als ware es aus greifbar dickem Rauch… es war ein Kopf… nun eine Brust und Arme… der Oberkorper von Cedric.

Dieses eine Mal hatte Harry vor Schreck fast seinen Zauberstab losgelassen, doch instinktiv umklammerte er ihn weiter, und der goldene Lichtfaden blieb erhalten, wahrend nun der rauchgraue Geist von Cedric Diggory (war es denn ein Geist? Er wirkte greifbar fest) zur Ganze aus Voldemorts Zauberstab drang, als ob er sich aus einem sehr engen Tunnel herauszwangte… und der Schatten von Cedric richtete sich auf, sah an dem goldenen Lichtfaden entlang und sprach:

»Halte aus, Harry.«

Seine Stimme hallte von fern her. Harry sah zu Voldemort… dessen rote Augen vor Schreck immer noch geweitet waren… was hier geschah, hatte er genauso wenig erwartet wie Harry… und nun horte Harry, stark gedampft, die angsterfullten Rufe der Todesser, die lauernd um den Rand des goldenen Kafigs schlichen…

Wieder drangen Schmerzensschreie aus dem Zauberstab… und dann quoll erneut etwas aus der Spitze hervor… der dichte Schatten eines zweiten Kopfes, rasch gefolgt von Armen und Oberkorper… ein alter Mann, den Harry einmal im Traum gesehen hatte, stie? sich jetzt heraus, genau wie Cedric es getan hatte… und sein Geist oder sein Schatten, oder was immer es war, fiel neben den Cedrics, erhob sich und musterte auf seinen Gehstock gestutzt Harry und Voldemort und das goldene Netz und die verbundenen Zauberstabe…

»Er ist also ein echter Zauberer?«, sagte der alte Mann, die Augen auf Voldemort gerichtet.»Hat mich getotet, der hier… kampfe gegen ihn, Junge…«

Doch schon tauchte ein weiterer Kopf auf… und dieser Kopf, grau wie eine Plastik aus Rauch, war der einer Frau… Harry, dem jetzt beide Arme zitterten vor Anstrengung, den Zauberstab ruhig zu halten, sah, wie sie den anderen gleich zu Boden fiel, sich aufrichtete und umherblickte…

Der Schatten Bertha Jorkins' bestaunte mit gro?en Augen den Kampf, der sich vor ihr abspielte.

»La? jetzt blo? nicht los!«, schrie sie, und auch ihre Stimme hallte, wie die Cedrics, wie von fern her.»Er darf dich nicht kriegen, Harry – la? nicht los!«

Sie und die anderen beiden schattenhaften Gestalten begannen an der Innenwand des goldenen Netzes entlangzuschreiten, wahrend die Todesser auf der anderen Seite umherhuschten… und Voldemorts tote Opfer flusterten, wahrend sie die Duellanten umkreisten, flusterten ermutigende Worte fur Harry und zischten Voldemort Worte zu, die Harry nicht verstand.

Und wieder erschien ein Kopf an der Spitze von Voldemorts Zauberstab… und Harry wu?te auf den ersten Blick, wer es sein wurde… er wu?te es, als hatte er es von dem Moment an erwartet, als Cedric dort erschienen war… er wu?te es, denn der Mensch, der jetzt erschien, war der, an den er an diesem Abend ofter als an jeden anderen gedacht hatte…

Der rauchige Schatten eines gro?en Mannes mit zerzaustem Haar fiel zu Boden, wie vor ihm Bertha, richtete sich auf und sah Harry an… und Harry, dessen Arme jetzt unbandig zitterten, erwiderte den Blick und sah in das geisterhafte Gesicht seines Vaters.

»Deine Mutter kommt…«, sagte er leise.»Sie will dich sehen… es wird gut gehen… halt durch…«

Und sie kam… erst ihr Kopf, dann ihr Korper… eine junge Frau mit langem Haar, die rauchig schattenhafte Gestalt Lily Potters, erbluhte aus der Spitze von Voldemorts Zauberstab, fiel zu Boden und erhob sich. Sie ging auf Harry zu, sah auf ihn hinab und sprach mit derselben fernen, hallenden Stimme wie die anderen, doch leise, so da? Voldemort es nicht horen konnte, dessen Gesicht nun, da seine Opfer um ihn herumstreiften, vor Angst wild zuckte…