Professor McGonagall ging mit bedachtigen Schritten durch die Reihen.

»Der Weihnachtsball gibt uns allen naturlich die Gelegenheit, uns – ahm – ein wenig lockerer zu geben«, sagte sie mit mi?billigendem Unterton.

Lavender giggelte noch heftiger und pre?te die Hand auf den Mund, um den Anfall zu ersticken. Diesmal begriff Harry, was denn so komisch sein sollte: Professor McGonagall, das Haar zu einem festen Knoten gebunden, sah aus, als hatte sie sich noch nie locker gegeben.

»Aber das hei?t NICHT«, fuhr sie fort,»da? wir die Benimmregeln lockern, denen ein Hogwarts-Schuler zu folgen hat. Ich ware hochst unangenehm beruhrt, sollte ein Gryffindor-Schuler ganz Hogwarts auf irgendeine Weise in Verruf bringen.«

Es lautete, und wie immer gab es ein kleines Durcheinander, denn alle packten ihre Taschen, warfen sie uber die Schultern und sturmten los.

»Potter – ich mochte gerne ein Wort mit Ihnen reden«, rief Professor McGonagall durch den Trubel.

Harry, der annahm, da? es um den kopflosen Gummikabeljau ging, trottete in trister Stimmung nach vorn zum Lehrertisch.

Professor McGonagall wartete, bis die anderen verschwunden waren, dann sagte sie:»Potter, die Champions und ihre Partner -«

»Welche Partner?«, fragte Harry.

Professor McGonagall sah ihn argwohnisch an, als ob er sich uber sie lustig machen wollte.

»Ihre Partner fur den Weihnachtsball, Potter«, sagte sie kuhl.»Ihre Tanzpartner.«

Harrys Eingeweide schienen sich einzurollen und zusammenzuschrumpfen.»Tanzpartner?«Er spurte, wie er rot anlief.»Ich tanze nicht«, sagte er rasch.

»O doch, das tun Sie«, sagte Professor McGonagall verargert.»Wenn ich es Ihnen sage. Der Tradition gema? eroffnen die Champions und ihre Partner den Ball.«

Harry hatte plotzlich ein Bild von sich vor Augen, in Frack und Zylinder, begleitet von einem Madchen in einem Ruschenkleid, wie es Tante Petunia immer zu Onkel Vernons Betriebsfeiern trug.

»Ich tanze nicht«, sagte er.

»Es ist so Tradition«, sagte Professor McGonagall entschieden.»Sie sind Hogwarts-Champion und Sie werden tun, was man von Ihnen als Vertreter Ihrer Schule erwartet. Also sorgen Sie dafur, da? Sie eine Partnerin haben, Potter.«

»Aber – ich kann nicht -«

»Sie haben gehort, was ich gesagt habe, Potter«, sagte Professor McGonagall, und es klang unmi?verstandlich nach dem Ende des Gesprachs.

Eine Woche zuvor noch hatte Harry gesagt, eine Partnerin fur einen Tanzabend zu finden ware ein Kinderspiel im Vergleich zum Kampf gegen einen Ungarischen Hornschwanz. Doch nun, da er diesen Kampf bestanden hatte und vor der Aufgabe stand, ein Madchen zum Ball zu bitten, hatte er das Gefuhl, er wurde es lieber noch einmal mit dem Hornschwanz aufnehmen.

Harry hatte noch nie erlebt, da? sich so viele seiner Mitschuler auf der Liste derer eintrugen, die uber Weihnachten in Hogwarts bleiben wollten; er selbst blieb naturlich immer in der Schule, denn die einzige andere Moglichkeit war ja, da? er in den Ligusterweg zuruckkehrte. Doch wahrend er in den letzten Jahren fast allein im Schlo? geblieben war, schien es nun, als wollten alle Schuler ab der vierten Klasse dableiben und als hatten sie nur noch den Ball im Kopf- zumindest die Madchen, und es war ganz erstaunlich, wie viele Madchen auf einmal Hogwarts bevolkerten; bisher war ihm das noch nicht so richtig aufgefallen. Madchen, die in den Gangen kicherten und tuschelten, Madchen, die lachten und kreischten, wenn Jungen an ihnen vorbeigingen, Madchen, die ganz aufgeregt Zettel verglichen, auf denen stand, was sie am Weihnachtsabend tragen wollten…

»Warum mussen die sich immer in Rudeln bewegen?«, fragte Harry Ron, als ein gutes Dutzend Madchen, giggelnd und Harry anstarrend, an ihnen vorbeiging.»Wie soll man da mal eine allein treffen, um sie zu fragen?«

»Wie war's, wenn du eine mit dem Lasso fangst?«, schlug Ron vor.»Hast du schon 'ne Ahnung, wen du fragen willst?«

Harry gab keine Antwort. Er wu?te ganz genau, wen er gern fragen wurde, aber den Mumm dafur aufzubringen war gar nicht so einfach… Cho war ein Jahr alter als er; sie war sehr hubsch; sie war eine sehr gute Quidditch-Spielerin und sie war auch sehr beliebt.

Ron schien zu wissen, was in Harrys Kopf vor sich ging.

»Hor zu, du wirst sicher keine Schwierigkeiten haben. Du bist ein Champion. Du hast gerade den Ungarischen Hornschwanz geschlagen. Ich wette, sie stehen Schlange, um mit dir zu diesem Ball zu gehen.«

Aus Achtung vor ihrer gerade erst wieder eingerenkten Freundschaft hatte Ron die Bitterkeit aus seiner Stimme bis auf eine winzige Spur verbannt. Und au?erdem zeigte sich, wie Harry verblufft feststellte, da? er Recht hatte. Ein lockiges Hufflepuff-Madchen, mit dem Harry noch nie ein Wort gesprochen hatte, fragte ihn schon am nachsten Tag, ob er nicht mit ihr zum Ball gehen wolle. Harry war so verdutzt, da? er nein sagte, bevor er ernsthaft nachgedacht hatte. Das Madchen ging mit ziemlich verletzter Miene davon und Harry mu?te wahrend der ganzen Geschichtsstunde Deans, Seamus' und Rons Spotteleien uber sich ergehen lassen. Am nachsten Tag fragten ihn noch zwei Madchen, eine Zweitkla?lerin und (zu seinem Entsetzen) eine Funftkla?lerin, die den Eindruck machte, als wurde sie ihn zu Boden strecken, wenn er ablehnte.

»Sah aber ziemlich gut aus«, sagte Ron offenherzig, nachdem er sich von seinem Lachanfall erholt hatte.

»Sie war uber einen Kopf gro?er als ich«, sagte Harry, immer noch genervt.»Stell dir vor, wie ich aussahe, wenn ich versuchen wurde mit ihr zu tanzen.«

Hermines Worte uber Krum gingen ihm immer wieder durch den Kopf.»Sie stehen ja nur auf ihn, weil er beruhmt ist!«Harry bezweifelte stark, da? eines der Madchen, die ihn gefragt hatten, auch dann mit ihm zum Ball gehen wollte, wenn er nicht der Schul-Champion ware. Dann fragte er sich, ob ihn das storen wurde, wenn Cho ihn bitten wurde.

Alles in allem mu?te sich Harry eingestehen, da? es ihm trotz der peinigenden Aussicht, den Ball eroffnen zu mussen, wieder besser ging, seit er die erste Aufgabe geschafft hatte. Wenn er durch das Schlo? lief, mu?te er sich kaum noch Spotteleien anhoren, und er vermutete, da? vor allem Cedric dahinter steckte – Harry ahnte vage, da? Cedric, weil er ihm fur seine Drachenwarnung dankbar war, den Hufflepuffs gesagt hatte, sie sollten ihn in Ruhe lassen. Auch kam es ihm vor, als wurde er immer weniger»Ich bin fur CEDRIC DIGGORY«-Anstecker zu sehen bekommen. Draco Malfoy zitierte naturlich immer noch bei jeder moglichen Gelegenheit lautstark Rita Kimmkorns Artikel, doch er erntete immer sparlichere Lacher – und wie um Harrys Laune noch zu verbessern, erschien auch kein Artikel uber Hagrid im Tagespropheten.

»Die fand magische Geschopfe wohl nicht so spannend, kann ich dir nur sagen«, erklarte Hagrid, als Harry, Ron und. Hermine ihn in der letzten Stunde Pflege magischer Geschopfe vor Weihnachten fragten, wie sein Interview mit Rita Kimmkorn gelaufen war. Zu ihrer gewaltigen Erleichterung ersparte ihnen Hagrid jetzt den direkten Umgang mit den Krotern, und so hockten sie heute nur hinten im Schutz des Huttendachs an einem Klapptisch und bereiteten ein frisches Menu zu, mit dem sie die Kroter in Versuchung fuhren wollten.

»Sie wollte, da? ich uber dich rede, Harry«, fuhr Hagrid mit gedampfter Stimme fort.»Na ja, ich hab ihr gesagt, wir sind Freunde, seit ich dich von den Dursleys weggeholt hab. ›Und in vier Jahren mu?ten Sie nie ein Donnerwetter veranstalten?‹ hat sie gesagt. ›Er hat Sie im Unterricht nie auf die Schippe genommen?‹ – ›Nee‹, hab ich gesagt, und da war sie uberhaupt nich zufrieden. Hatte fast gedacht, sie wollte, da? ich sage, du bist 'n furchtbarer Kerl, Harry!«

»Naturlich wollte sie das«, sagte Harry, warf Drachenleberstucke in eine gro?e Blechschussel und nahm sein Messer zur Hand, um noch eine weitere Leber zu schneiden.»Sie kann nicht die ganze Zeit schreiben, was fur ein tragischer kleiner Held ich bin, das wird doch langweilig.«