Nachdem entschieden war, die Independence fur die Gronlandmission umzurusten, hatte man ihn beauftragt, dem Schiff das Nonplusultra einer Tauchbasis zu verschaffen. Fur nichts war Geld ubrig, nirgendwo auf der Welt — bis auf die Forschung. Vielen galt die Independence als letzte Hoffnung der Menschheit, also wurde an nichts gespart. Roscovitz bekam kein Budget, sondern einen Freibrief. Er sollte einkaufen, was er fand und was ihm geeignet erschien, und wenn es einigerma?en schnell ging, sollte er konstruieren lassen, was es noch nicht gab und wonach ihm der Sinn stand.
Niemand hatte erwartet, dass der Mann ernsthaft uber bemannte Tauchboote nachdenken wurde. Das Hauptaugenmerk lag auf ROVs, den verkabelten, fernsteuerbaren Unterwasserrobotern wie dem Victor, der die Wurmer vor Norwegen aufgespurt hatte. Es gab zudem eine Reihe von Fortschritten in der Konstruktion von AUVs zu verzeichnen, Robotern, die nicht einmal mehr eine Kabelverbindung zum Schiff benotigten. Die meisten dieser Automaten verfugten uber hoch auflosende Kameras und irgendeine Form von Greifarm bis hin zu sensiblen kunstlichen Gliedma?en. Niemand wollte Menschenleben gefahrden, nachdem Taucher angegriffen und getotet worden waren und sich keiner mehr in Wasser traute, das hoher ging als bis zu den Knocheln.
Roscovitz hatte zugehort und gesagt, dass sie es unter diesen Umstanden vergessen konnten.
Er sagte: »Haben wir je einen Krieg gewonnen ausschlie?lich mit Maschinen? Wir konnen intelligente Bomben abfeuern und unbemannte Drohnen uber feindliches Gebiet fliegen lassen, aber die Entscheidungen, die ein Pilot in einem Kampfjet trifft, kann ihm keine Maschine abnehmen. Es wird irgendwann im Verlauf dieser Mission eine Situation geben, in der wir selber nach dem Rechten schauen mussen.«
Sie fragten ihn, was er wolle. Er sagte, naturlich ROVs und AUVS, aber auch bemannte, bewaffnete Boote. Er bat au?erdem um eine Delphinstaffel und erfuhr zu seiner Befriedigung, dass die Aufnahme von MK-6 und MK-7 bereits angeordnet war, nachdem ein Mitglied des Wissenschaftlichen Stabs den Vorschlag unterbreitet hatte. Als er horte, wer die Betreuung der Staffeln ubernehmen sollte, war seine Freude noch gro?er geworden.
Jack O’Bannon.
Roscovitz kannte O’Bannon nicht personlich. Aber der Ex-Soldat war in gewissen Kreisen ein Begriff. Manche meinten, er sei der beste Trainer, den die Staffeln je gehabt hatten. Spater hatte er der Navy abgeschworen wie dem Teufel. Roscovitz wusste sehr gut, was es mit O’Bannons angeblicher Herzschwache auf sich hatte. Umso mehr erstaunte es ihn zu horen, dass der Mann wieder an Bord war.
Seine Vorgesetzten versuchten, ihm die bemannten Boote auszureden. Er blieb hartnackig. Sie argumentierten mit den nicht abzuschatzenden Risiken, er wiederholte ein ums andere Mal denselben Satz: »Wir werden sie brauchen.« Bis sie ihm schlie?lich grunes Licht erteilten.
Dann uberraschte er sie ein weiteres Mal.
Wahrscheinlich war das Marineministerium davon ausgegangen, er wurde das Heck des riesigen Helikoptertragers voll stopfen mit Tauchbooten, die eine Menge Eindruck machten wie die russischen MIR-Boote, die japanische Shinkai und die franzosische Nautile. Weltweit gab es nur ein halbes Dutzend Boote, die tiefer kamen als 3000 Meter, und diese gehorten dazu, ebenso wie die gute alte Alvin. Aber Roscovitz setzte auf Neuerung. Er wusste, dass ihm derartige Boote nicht viel nutzen wurden. Mit der Shinkai gelangte man zwar auf 6500 Meter Tiefe, aber sie konnte ihre Vertikalbewegungen nur durch Fluten und Leerpumpen von Ballasttanks steuern, ebenso wie die MIR-Boote und Nautile. Roscovitz dachte nicht uber eine klassische Tiefsee-Exploration nach, er dachte an Krieg und einen unsichtbaren Feind, und er stellte sich vor, wie es ware, eine Luftschlacht mit Hei?luftballons zu fuhren. Die meisten Tiefseetauchboote waren einfach zu schwerfallig. Was er brauchte, waren Tiefsee-Jets.
Kampfjets.
Nach einer Weile stie? er auf ein Unternehmen, dessen Produkte seinen Vorstellungen entgegenkamen. Hawkes Ocean Technologies im kalifornischen Point Richmond genoss nicht nur einen tadellosen Ruf in der Branche, sondern wurde auch regelma?ig zu Hollywood-Produktionen herangezogen, um den Spekulationen einen soliden Unterbau zu verschaffen. Graham Hawkes, ein namhafter Ingenieur und Erfinder, hatte die Firma Mitte der neunziger Jahre gegrundet, um sich den Traum vom Fliegen zu ermoglichen — unter Wasser.
Roscovitz legte einen Wunschzettel und eine gro?ere Menge Geld auf den Tisch und machte zur Bedingung, dass die Konstrukteure jeden noch so eng gefassten Zeitrahmen unterboten.
Das Geld tat das Seine.
Als die Wissenschaftler um 10.30 Uhr den Pier des Welldecks betraten, jeder in einen Warme speichernden Neoprenanzug gehullt, der nur das Gesicht frei lie?, freute sich Roscovitz, zur Abwechslung diesen klugen Leuten was erzahlen zu konnen. Die Soldaten und die Besatzung hatten ihre Einweisung schon in Norfolk erhalten. Die meisten von ihnen waren Navy-SEALS mit Schwimmhauten zwischen Fingern und Zehen. Aber Roscovitz war fest entschlossen, auch die Wissenschaftler fahr— und gefechtstauglich zu machen. Er wusste, dass im Verlauf solcher Expeditionen Dinge geschehen konnten, an deren Ende vielleicht ein Zivilist die entscheidende Rolle spielte.
Er gab Browning Anweisung, eines der vier Tauchboote von der Decke zu lasse und sah zu, wie Deepflight 1 langsam herabsank. Von unten glich das Boot einem uberdimensionalen Ferrari ohne Rader, bestuckt mit vier langen, schlanken Rohren. Er wartete, bis es auf Augenhohe hing, vier Meter uber dem geplankten Boden des Decks und genau uber der Bassin-Abdeckung. Auch aus dieser Perspektive hatte es wenig Ahnlichkeit mit einem klassischen Tauchfahrzeug. Flach und breit, von annahernder Rechteckform, mit vier Antriebs-und Steuerdusen an der Ruckseite und zwei teilverglasten Korperrohren, die schrag aus der Oberflache wuchsen, erinnerte das Deepflight eher an ein kleines Raumschiff. Unterhalb der transparenten Kuppeln entsprangen mehrgelenkige Greifarme.
Das Auffalligste waren die Stummelflugel zu beiden Seiten.
»Sie finden, es sieht aus wie ein Flugzeug«, sagte Roscovitz. »Und da haben Sie Recht. Es ist ein Flugzeug und ebenso wendig. Die Tragflachen erfullen dieselbe Funktion, mit dem kleinen Unterschied, dass ihre Profile in die entgegengesetzte Richtung wirken. Beim Flugzeug sorgen sie fur Auftrieb. Die Flugel eines Deepflight hingegen erzeugen einen Sog nach unten und wirken dem Auftrieb entgegen. Auch der Steuermechanismus ist der Luftfahrt abgeguckt. Man sinkt nicht wie ein Stein, sondern bewegt sich in einem Neigungswinkel bis 60 Grad, fliegt elegante Kurven, gelangt blitzschnell runter oder rauf, wusch, wusch!« Er machte es mit der flachen Hand vor und deutete auf die Korperhullen. »Der Hauptunterschied zum Flugzeug ist, dass man nicht sitzt, sondern liegt. So bleiben wir bei drei mal sechs Metern Kantenlange unter einer Hohe von einem Meter vierzig.«
»Wie tief taucht dieses Flugzeug?«, fragte Weaver.
»So tief Sie wollen. Sie konnten geradewegs zum Grund des Marianengrabens fliegen und wurden keine anderthalb Stunden dafur brauchen. Das Baby legt zwolf Knoten vor. Es hat eine Hulle aus Keramik, die Sichtkuppeln bestehen aus Acryl, eingefasst von Titaniumhullen, absolut tiefentauglich. Man genie?t einen sensationellen Rundumblick, was in unserem Fall hei?t, rechtzeitig verschwinden oder feuern zu konnen, je nachdem.« Er zeigte zur Unterseite. »Wir haben unsere Deepflights mit vier Torpedos ausgestattet. Zwei von den Dingern haben eine begrenzte Sprengkraft. Sie konnen einem Wal bose Wunden beibringen und ihn moglicherweise toten. Die anderen zwei rei?en gro?ere Locher. Sie sprengen Stahl und Gestein und konnen einem ganzen Rudel zusetzen. Das Feuern uberlassen Sie bitte dem Piloten, es sei denn, er ist tot oder bewusstlos und lasst Ihnen keine andere Wahl.«