Roscovitz klatschte in die Hande.
»Okay. Sie konnen sich nun darum balgen, wer als Erster einsteigt und Probe fahrt. — Ach ja, was Sie noch interessieren durfte: Der Sprit reicht fur acht Stunden Flugzeit. Sollten Sie irgendwo hangen bleiben, versorgen Sie die lebenserhaltenden Systeme 96 Stunden lang mit Sauerstoff. Aber keine Angst: Bis dahin hat die Navy, Gottes eigene Armee, Sie langst gerettet. — Wer will?«
»Ohne Wasser?«, fragte Shankar und sah skeptisch nach unten.
Roscovitz grinste. »Waren Ihnen 15000 Tonnen genug?«
»Ich, ah … denke schon.«
»Gut. Fluten wir das Deck.«
Zwei Funker hatten die Platze von Crowe und Shankar eingenommen, solange die Wissenschaftler in Roscovitz’ Reich weilten. Sie schlugen die Zeit tot. Streng genommen hatten sie den Mund halten und die Ohren aufsperren mussen, aber sie hatten ja ihren Computer, und sie hatten Shankars SOSUS-Crew auf dem Festland. Was immer aus den Tiefen des Meeres drang, wurde dort von diversen elektronischen Systemen und menschlichen Sinnesorganen erfasst, vorselektiert, ausgewertet und kommentiert per Satellit zur Independence geschickt. Obschon Crowes Botschaft vom Schiff aus gesendet worden war und die Independence mitlauschte, war sie nur einer von vielen Horchposten. Eine mogliche Antwort der Yrr wurde samtliche atlantischen Hydrophone erreichen. Aus der raumlichen Verteilung und der Verschiebung von Zeitintervallen beim Eintreffen wurde der Computer den Punkt errechnen, von dem das Signal ausging, es ins CIC schicken und dabei unmissverstandlich auf sich aufmerksam machen.
Im festen Vertrauen auf die Technik hatten die Manner begonnen, uber Musik zu diskutieren. Bald bekam die Auseinandersetzung etwas Hitziges. Nachdem sich die Temperamente an der Glaubwurdigkeit wei?er Hip-Hop-Kunstler entzundeten, warf keiner uberhaupt noch einen Blick auf die Monitore, bis einer der beiden nach seinem Kaffee griff und dabei zufallig den Kopf wandte. Sein Blick blieb hangen.
»Hey. Was ist das denn?«
Uber zwei Monitore zuckten farbige Frequenzlinien.
Der andere riss die Augen auf. »Wie lange sind die schon da?«
»Wei? nicht.« Der Funker starrte auf die Linien. »Wir hatten was reinbekommen mussen vom Festland. Warum melden die sich nicht? Sie mussen das doch auch empfangen haben.«
»Ist das die Frequenz, auf der Crowe gesendet hat?«
»Keine Ahnung, was die gesendet hat. Man hort nichts.
Muss irgendwas im Ultra— oder Infraschallbereich sein.«
Der andere uberlegte.
»Okay. Das nachste Hydrophon sitzt vor Neufundland. Schall braucht seine Zeit. Die anderen haben es noch nicht empfangen, also sind wir die Ersten, bei denen es einlauft. Das kann nur hei?en …«
Sein Partner sah ihn an.
»Es kommt von hier.«
Lautstark arbeitete die Hydraulik, als die achterlichen Ballasttanks geflutet wurden. Das Heck der Independence sank langsam tiefer, wahrend Meerwasser ins Innere stromte.
»Wir konnten das Wasser durch die Schleuse einlassen«, erklarte Roscovitz mit gehobener Stimme, um den Larm zu ubertonen. »Aber dafur mussten wir samtliche Schotts gleichzeitig offnen, was wir aus Sicherheitsgrunden vermeiden. Stattdessen bedienen wir uns eines speziellen Pumpsystems. Ein separater Rohrkreislauf leitet Wasser ins Innere des Decks. Es wird mehrfach gefiltert. Ebenso wie die Schleuse ist das Becken mit hoch empfindlichen Sensoren bestuckt, die uns sagen, ob wir in der gro?en Badewanne bedenkenlos plantschen durfen.«
»Testen wir die Boote im Deck?«, rief Johanson.
»Nein. Wir gehen raus.«
Nachdem die Delphine den Ruckzug der Orcas gemeldet hatten, war Roscovitz zu der Uberzeugung gelangt, dass man ein paar echte Tauchgange riskieren konnte.
»Du lieber Himmel.« Rubin starrte wie paralysiert ins Becken, das sich schaumend fullte. »Das ist ja, als ob wir sinken.«
Roscovitz grinste ihn an.
»Sie machen sich falsche Vorstellungen. Ich bin schon mal mit einem Kriegsschiff gesunken. Glauben Sie mir, es ist anders!«
»Und wie?«
Roscovitz lachte. »Das wollen Sie nicht wissen. Nicht wirklich.«
Meter um Meter sackte das Heck des riesigen Schiffes ab. Die Independence war zu gro?, als dass man wirklich etwas von der Schraglage gespurt hatte. Aufs Ganze gesehen war sie minimal, ein Fall fur die Wasserwaage, der Effekt jedoch umso verbluffender. Immer hoher stieg die Flut, bis sie an die Rander der Piers schwappte. Innerhalb weniger Minuten hatte sich das Deck in einen Pool mit vier Metern Bodentiefe verwandelt. Auch das Delphinarium lag unter Wasser, womit den Tieren nunmehr das komplette Becken zur Verfugung stand. Uber dem kunstlichen Gestade trieben gut vertaut die Zodiacs. Deepflight 1 schaukelte sanft auf den Wellen.
Browning lie? ein weiteres Tauchboot von der Decke. Sie stand an der Konsole und bewegte einen Joystick. Nacheinander manovrierte sie die Boote uber das Schienensystem bis zur Pierkante und offnete die Abdeckungen der Korperrohren. Wie Dusenjetkuppeln klappten sie nach oben.
»Jede Rohre lasst sich separat offnen und schlie?en«, erklarte sie. »Einsteigen ist simpel. Trotzdem, wer’s nicht gewohnt ist, holt sich schon mal nasse Fu?e. Das Wasser im Becken ist wahrend des Pumpvorgangs aufgeheizt worden und hat jetzt vertragliche 15 Grad Celsius, was Sie nicht auf die Idee bringen sollte, auf Ihre Schutzanzuge zu verzichten. Falls es Sie aus irgendeinem Grund in die offene See verschlagt und Sie haben kein Neopren und kein Tauchboot um sich herum, werden Sie ziemlich schnell tot sein. Das Wasser vor Gronland hat maximal zwei Grad.«
»Noch Fragen?« Roscovitz teilte die Gruppen ein, je ein Pilot und ein Wissenschaftler. »Dann los. Wir bleiben nah am Schiff. Unsere feuchtfrohlichen Freunde von der Delphinstaffel meinen zwar, wir sollten uns keine Sorgen machen, aber das kann sich andern. Leon, zu mir. Wir nehmen Deepflight I.«
Er sprang auf das Boot. Es schaukelte heftig. Anawak tat es ihm nach, verlor das Gleichgewicht und landete kopfuber im Wasser. Eiseskalte schlug ihm ins Gesicht und raubte ihm den Atem. Prustend kam er an die Oberflache und erntete kollektives Gelachter.
»Genau das meinte ich«, sagte Browning trocken.
Anawak zog sich auf den Rumpf und schlupfte bauchlings ins Innere der Rohre. Zu seiner Uberraschung erwies sie sich als bequem und geraumig. Man lag nicht ganz in der Horizontalen, sondern leicht ansteigend, sodass die Korperhaltung eher der eines Skispringers im Anflug glich. Vor ihm lag ein ubersichtliches Instrumentenpult. Roscovitz’ startete die Systeme, und die Abdeckungen schlossen sich lautlos.
»Es ist nicht gerade ‘ne Suite im Ritz, Leon.«
Die Stimme des Colonels drang aus Lautsprechern an Anawaks Ohr. Er drehte den Kopf. Einen Meter neben ihm schaute Roscovitz aus seiner Acrylglaskuppel heruber und grinste. »Sehen Sie den Joystick vor Ihnen? Ich sagte ja, es ist ein Flugzeug, und so verhalt es sich auch. Sie mussen lernen, wie mit einem Flugzeug auf— und abzusteigen und Kurven zu fliegen, also Rollbewegungen in alle vier Richtungen zu vollziehen. Au?erdem gibt es vier Strahler an der Unterseite, die genugend Rucksto? erzeugen, um das Deepflight eine Weile in der Schwebe zu halten. Die erste Runde fliege ich, dann ubernehmen Sie, und ich werde Ihnen sagen, was Sie alles verkehrt gemacht haben.«
Plotzlich kippten sie nach vorn weg. Wasser schwappte uber die Acrylkuppel, und sie fuhren in sanftem Winkel abwarts. Am Bug und an den Tragflachen flammten Scheinwerfer auf. Anawak sah den Plankenboden des Decks unter sich hinwegziehen, dann waren sie uber der Schleuse. Die Glasschotts fuhren auseinander. Er blickte in einen mehrere Meter tiefen, erleuchteten Schacht, an dessen Grund sich dunkler Stahlboden erstreckte.