»Ture offnen, Sal«, sagte Johanson.

Widerwillig setzte sich Peak in Bewegung und druckte auf einen Schalter in der Wand. Die Tur glitt auf.

»Die weiter hinten auch, wenn ich bitten darf.«

»Selbstverstandlich.«

Johanson ging nach drau?en.

»Sigur!«

Er blieb stehen. »Was wollen Sie, Jude?«

»Sie haben mir vorgeworfen, dass ich meine Verantwortung nicht einzuschatzen wei?. Vielleicht haben Sie Recht. Schatzen Sie Ihre ein. Wenn Sie jetzt zu den anderen gehen und sie aufklaren, werfen Sie die Arbeit auf diesem Schiff dramatisch zuruck. Das wissen Sie. Wir hatten vielleicht nicht das Recht, Sie zu belugen, aber denken Sie sehr genau daruber nach, ob Sie das Recht haben, uns blo?zustellen.«

Johanson drehte sich langsam um. Li stand im Turrahmen des Kontrollraums.

»Ich werde sehr genau daruber nachdenken«, sagte er.

»Dann lassen Sie uns einen Kompromiss finden. Geben Sie mir Zeit, einen Weg zu finden, und lassen Sie bis dahin alles sacken. Heute Abend reden wir miteinander. Bis dahin unternimmt keiner von uns etwas, das den anderen in Verlegenheit bringen konnte. — Sehen Sie sich in der Lage, diesem Vorschlag zuzustimmen?«

Johansons Kiefer mahlten.

Was wurde passieren, wenn er die Bombe platzen lie?? Was wurde mit ihm passieren, wenn er jetzt und hier ablehnte?

»In Ordnung«, sagte er.

Li lachelte. »Danke, Sigur.«

Weaver

Am liebsten ware sie im Welldeck geblieben. Anawak tat sein Bestes, um Greywolf aufzuheitern. Sie wollte bei dem einen bleiben, weil sie sich zu ihm hingezogen fuhlte, und den anderen nicht im Stich lassen, dessen Traurigkeit mit Handen greifbar war. Sie fand es schrecklich, diesen riesigen, kraftstrotzenden Mann derart traurig zu sehen. Aber noch schrecklicher fand sie, was Johanson ihr erzahlt hatte. Je mehr sie daruber nachdachte, desto ungeheuerlicher erschien ihr, was an Bord der Independence vorging. Etwas sagte ihr unmissverstandlich, dass sie alle in gro?er Gefahr schwebten.

Vielleicht war Rubin inzwischen eingetroffen.

»Bis spater«, sagte sie. »Bin was erledigen.«

Im selben Moment merkte sie, dass es gekunstelt klang, ubertrieben gelassen. Anawak runzelte die Stirn.

»Was ist los?«, fragte er.

»Nichts Besonderes.«

Sie war einfach nicht gut in so was! Schnell ging sie die Rampe hoch und den dahinter liegenden Flur entlang. Die Tur zum Labor stand offen. Als sie eintrat, sah sie Oliviera mit Rubin im Gesprach. Sie standen an einem der Labortische. Rubin drehte sich zu ihr um.

»Hi. Du wolltest mich was fragen?«

Weaver druckte den Schalter am Innenrahmen, sodass sich das Schott hinter ihr schloss.

»Ja. Du konntest mir was erklaren.«

»Im Erklaren bin ich ganz gro?«, grinste Rubin.

»Tatsachlich?«

Sie gesellte sich zu den beiden. Ihr Blick suchte den Labortisch ab. Alles Mogliche lag dort herum. In einer Halterung steckten Seziermesser verschiedener Gro?en. Sie sagte: »Du konntest mir erklaren, wozu das Labor uber uns dient, was du dort treibst und warum du Sigur vorletzte Nacht niedergeschlagen hast, nachdem er dir auf die Schliche gekommen war.«

Hangardeck

Johanson kochte vor Wut. Vor lauter Zorn wusste er nicht, wohin er gehen sollte, also rannte er schlie?lich aufs Hangardeck und suchte die Wand ab. Seine Erinnerung sagte ihm sehr genau, wo die Tur sein musste, aber immer noch deutete nichts auf einen getarnten Durchlass hin. Im Grunde war es uberflussig, dass er danach suchte. Li hatte zugegeben, dass dieses Labor existierte, aber damit wollte er sich nicht zufrieden geben.

Plotzlich bemerkte er ausgedehnte Roststellen im grauen Lack der Wand. Eigentlich waren sie ihm schon die ganze Zeit uber aufgefallen. Er hatte ihnen keine Bedeutung beigemessen, weil Rost und abblatternde Farbe auf Schiffen nichts Besonderes darstellten. Aber jetzt wurde ihm mit einem Mal klar, was damit nicht stimmte.

Es gab keinen Rost auf einem neuen Schiff. Und die Independence war ein funkelnagelneues Schiff.

Er trat einige Schritte zuruck. Wenn man die Rohre zur Linken nach oben verfolgte, stie?en sie an einen lang gedehnten Roststreifen. Ein Stuck weiter hing ein Sicherungskasten. Auch darunter blatterte die Farbe ab.

Da war die Tur.

Sie war unglaublich gut getarnt. Hatte er nicht so verbissen danach gesucht, ware sie ihm niemals aufgefallen. Selbst als er zusammen mit Weaver die Wand abgesucht hatte, waren sie der raffinierten Camouflage aufgesessen. Sogar jetzt erkannte er nicht wirklich die Konturen, sondern nur eine scheinbar zufallige Anordnung von Details, die insgesamt geeignet waren, eine Tur zu verbergen.

Hier war er hineingegangen.

Weaver!

Hatte sie Rubin gefunden? Was sollte er tun? Sie zuruckpfeifen, getreu der Vereinbarung, die er mit Li getroffen hatte? Was war diese Vereinbarung wert? Hatte er sich uberhaupt auf einen Handel mit der Kommandantin einlassen durfen?

Schwer atmend und unschlussig lief er auf dem gro?en leeren Deck hin und her. Plotzlich kam ihm das ganze Schiff wie ein Gefangnis vor. Selbst der dustere, gelb erleuchtete Hangar bekam etwas Erdruckendes.

Er musste nachdenken.

Er brauchte frische Luft.

Mit gro?en Schritten marschierte er Richtung Steuerbord und trat aus dem Durchlass hinaus auf die Plattform des Au?enlifts. Heftiger Wind zerrte an seiner Kleidung und an seinen Haaren. Das Meer war noch unruhiger geworden. Ein Film verspruhter Gischt bedeckte innerhalb von Sekunden sein Gesicht. Er ging bis an den Rand der Plattform und sah hinunter auf die zerkluftete, bewegte Mondlandschaft der Gronlandischen See.

Was sollte er tun?

Kontrollraum

Li stand vor den Monitoren. Sie sah zu, wie Johanson die Wand absuchte und schlie?lich frustriert den Hangar durchquerte.

»Was sollte diese lappische Vereinbarung?«, knurrte Vanderbilt. »Glauben Sie wirklich, der halt bis heute Abend seine Schnauze?«

»Das traue ich ihm zu«, sagte Li.

»Und wenn nicht?«

Johanson verschwand im Durchlass des Au?enlifts. Li wandte sich zu Vanderbilt um. »Uberflussige Frage, Jack. Das Problem werden Sie selbstverstandlich losen. Und zwar jetzt.«

»Moment.« Peak hob die Hand. »So war das nicht vorgesehen.«

»Was hei?t losen?«, fragte Vanderbilt lauernd.

»Losen hei?t losen«, sagte Li. »Es kommt Sturm auf. Man sollte bei Sturm nicht drau?en sein. Ein Windsto? …«

»Nein.« Peak schuttelte den Kopf. »So war das nicht vereinbart.«

»Sal, halten Sie den Mund.«

»Verdammt nochmal, Jude! Wir konnen ihn ein paar Stunden festsetzen, das reicht doch wohl!«

»Jack«, sagte Li zu Vanderbilt, ohne Peak eines Blickes zu wurdigen. »Tun Sie Ihre Arbeit. Und machen Sie’s bitte personlich.«

Vanderbilt grinste. »Mit Vergnugen, Schatzchen. Mit dem gro?ten Vergnugen.«

Labor

Olivieras ohnehin schon langes Gesicht wurde noch langer. Sie starrte zuerst Weaver an und dann Rubin.

»Na?«, sagte Weaver.

Rubin erbleichte. »Ich habe absolut keine Ahnung, wovon du sprichst.«

»Mick, hor mal.« Sie stellte sich zwischen ihn und den Tisch und legte Rubin fast freundschaftlich den Arm um die Schultern. »Ich bin keine gro?artige Rednerin. In Smalltalk war ich immer ganz mies. Leute wie mich ladt man zu keiner Cocktailparty ein und stellt sie nicht aufs Podium. Ich bevorzuge schnelle, knappe Gesprache. Also nochmal, und geh mir nicht mit Ausfluchten auf den Sack. Da oben gibt es ein Labor. Direkt uber uns. Es fuhrt hinaus aufs Hangardeck, gut getarnt, aber Sigur hat dich nun mal gesehen, wie du rein— und rausgegangen bist.