Sie lief zur Rampe und sah in ein rauchverhangenes Loch. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Li war weder angstlich noch fuhlte sie sich von dem Abstieg uberfordert, aber sie fragte sich, wie sie mit den beiden Torpedos da runterkommen sollte. Wenn sie die Dinger noch einmal verlor, wurden sie irgendwo im dunklen Wasser landen.

Sie stellte die Fu?e quer und begann, Schritt fur Schritt die Rampe hinunterzusteigen. Es war dunkel und bedruckend. Das Schlimmste war der Rauch, in dem sie zu ersticken glaubte. Mit hohlem Klonk trafen ihre Stiefelsohlen auf den geriffelten Stahl.

Plotzlich verlor sie das Gleichgewicht, fiel auf den Hintern und streckte die Beine aus. In rasender Fahrt ging es abwarts. Krampfhaft umklammerte sie die beiden Torpedos, spurte schmerzhaft die raue Oberflache der Rampe und die Streben, die ihr ins Kreuz hammerten, uberschlug sich und sah schwarzes Wasser auf sich zusturzen.

Es spritzte nach allen Seiten. Der Untergrund wich zuruck. Li wurde herumgewirbelt, tauchte auf und schnappte nach Luft.

Sie hatte die Rohren nicht losgelassen!

Dumpfes Jammern erscholl aus den Tunnelwanden. Sie stie? sich ab und schwamm gerauschlos in den Trakt hinein, um die Biegung herum und auf das Welldeck zu. Das Wasser war temperiert, es musste aus dem Becken stammen. Im Tunnel war das Licht ausgefallen, aber das Welldeck verfugte uber ein eigenes Versorgungssystem. Weiter vorne wurde es heller. Im Naherkommen erkannte sie die schrag aufsteigenden Piers, die Heckverschlussklappe, die jetzt drohend uber dem kunstlichen Hafenbecken hing, die zwei Tauchboote, von denen eines auf Pierhohe schwebte.

Zwei Boote?

Deepflight 2 war verschwunden.

Und auf Deepflight 3 turnte, bekleidet mit einem Neoprenanzug, Johanson herum.

Flugdeck

Crowe hielt es nicht mehr aus.

Der pakistanische Koch hatte zwar Zigaretten, aber daruber hinaus war er keine gro?e Hilfe. Er sa? jammernd und zusammengekauert an der Heckkante und war nicht in der Lage, Plane zu machen. Genau genommen sah sich Crowe ebenso wenig dazu imstande, weil sie schlicht nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Ratlos starrte sie auf die tosenden Flammen. Aber den Gedanken aufzugeben, hasste sie aus tiefstem Herzen. Fur jemanden, der Jahre und Jahrzehnte ins Weltall gehorcht hatte in der Hoffnung, Signale einer fremden Intelligenz zu empfangen, nahm sich der Gedanke an Aufgeben absurd aus. Er gehorte einfach nicht ins Repertoire.

Plotzlich gab es einen donnernden Knall. Uber der Insel breitete sich eine riesige Glutwolke aus, in der es blitzte und knatterte wie von einem Feuerwerk. Eine Welle heftiger Vibrationen erfasste das Deck, dann rasten aus dem Inferno Flammenfontanen auf sie zu.

Der Koch stie? einen Schrei aus. Er sprang auf, machte einen Satz zuruck, taumelte und kippte uber die Kante. Crowe versuchte, seine ausgestreckten Hande zu fassen. Eine Sekunde hielt der Mann das Gleichgewicht, das Gesicht von Todesangst verzerrt, wankte und sturzte schreiend in die Tiefe. Sein Korper schlug auf die schrag stehende Heckklappe, dann wurde er daruber hinweggetragen und entzog sich Crowes Blicken. Das Schreien brach ab. Sie horte ein Aufklatschen, wich entsetzt von der Kante zuruck und wandte den Kopf.

Sie stand inmitten von Flammen. Um sie herum brannte der Asphalt. Es war unertraglich hei?. Einzig die Steuerbordseite war von dem feurigen Regen verschont geblieben. Jetzt fuhlte sie erstmals wahre Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in sich aufsteigen. Die Situation war aussichtslos. Sie konnte es hinauszogern, aber andern konnte sie es nicht.

Die Hitze zwang sie zum Zuruckweichen. Sie lief zur Steuerbordseite und daran entlang.

Dort war die Anschlussstelle fur den Au?enlift.

Was sollte sie blo? tun?

»Sam!«

Jetzt suchten sie schon Halluzinationen heim! Hatte da jemand ihren Namen gerufen? Unmoglich.

»Sam Crowe!«

Nein, sie halluzinierte nicht. Jemand rief ihren Namen.

»Hier!«, schrie sie. »Ich bin hier!«

Mit aufgerissenen Augen sah sie sich um. Wo war die Stimme hergekommen? Sie sah niemanden auf dem Flugdeck.

Dann begriff sie.

Vorsichtig, um nicht herunterzufallen, beugte sie sich uber die Kante. Die Luft hing voller Ru?, aber dennoch sah sie deutlich die schrag stehende Plattform des Au?enlifts unter sich.

»Sam?«

»Hier! Hier oben!«

Sie schrie sich die Seele aus dem Leib. Plotzlich kam jemand auf die Plattform hinausgelaufen und legte den Kopf in den Nacken.

Es war Anawak.

»Leon!«, rief sie. »Ich bin hier!«

»Mein Gott, Sam.« Er starrte zu ihr hinauf. »Warte. Bleib da, ich komme dich holen.«

»Wie denn, Junge?«

»Ich komme rauf.«

»Es gibt kein Raufkommen mehr«, rief Crowe. »Hier brennt alles lichterloh. Die Insel, das Flugdeck. Wir haben hier ein flammendes Inferno, dass die Hollywood-Version ein muder Schei? dagegen ist.«

Anawak lief aufgeregt hin und her.

»Wo ist Murray?«

»Tot.«

»Wir mussen weg, Sam.«

»Danke, dass du mich drauf aufmerksam machst.«

»Bist du sportlich?«

»Was?«

»Kannst du springen?«

Crowe starrte hinab. Sportlich! Du liebe Gute. Das war sie mal gewesen. Irgendwann in einem Leben, bevor die Zigaretten erfunden wurden. Und das da waren mindestens acht Meter, vielleicht zehn. Zu allem Uberfluss hatte die Neigung aus der Plattform eine Rutschbahn gemacht.

»Ich wei? nicht.«

»Ich auch nicht. Hast du eine bessere Idee, die innerhalb der nachsten zehn Sekunden funktionieren konnte?« »Nein.« »Ich kann uns mit dem Tauchboot rausbringen.«

Anawak breitete die Arme aus. »Spring endlich! Ich fange dich auf.« »Vergiss es, Leon. Am besten gehst du zur Seite.« »Halt keine Volksreden. Spring!«

Crowe warf einen letzten Blick uber ihre Schulter. Die Flammen ruckten naher. Sie griffen nach ihr, zungelten hungrig heran.

Kurz schloss sie die Augen und offnete sie wieder.

»Ich komme, Leon!«

Welldeck

Wo zum Teufel blieb Anawak? Johanson hockte auf dem sacht hin und her schaukelnden Tauchboot und sah hinab. Im dunklen Wasser der Schleuse war bis jetzt nichts aufgetaucht, was auf die unmittelbare Anwesenheit von Yrr schlie?en lie?. Wozu auch? Warum hatten sie noch angreifen sollen? Sie mussten nur abwarten, bis das Schiff gesunken war. Am Ende hatten die Yrr sogar die Independence kleingekriegt.

Die funf Minuten waren um.

Im Grunde konnte er sich davonmachen. Es blieb immer noch ein Tauchboot zuruck, um Anawak und Crowe herauszubringen.

Und Shankar?

Dann waren sie zu viert. Er konnte nicht weg. Wenn Anawak mit Crowe und Shankar kam, wurden sie beide Boote brauchen.

Leise begann er Mahlers Erste Symphonie zu summen.

»Sigur!«

Johanson fuhr herum. Stechender Schmerz peitschte durch seinen Oberkorper und schnurte ihm die Luft ab. Direkt hinter dem Boot stand Li auf dem Pier und hielt eine Pistole auf ihn gerichtet. Neben ihr lagen zwei schlanke Rohren.

»Kommen Sie da runter, Sigur. Zwingen Sie mich nicht, Sie zu erschie?en.«

Johanson packte den Seilzug, an dem das Deepflight aufgehangt war.

»Wieso zwingen? Ich dachte, Sie haben Spa? an so was.«

»Runter da.«

»Wollen Sie mir drohen, Jude?« Er lachte trocken, wahrend seine Gedanken rasten. Er musste sie irgendwie hinhalten. Improvisieren. Bluffen, so gut es eben ging, bis Anawak kam. »Ich wurde an Ihrer Stelle nicht abdrucken, sonst hat sich Ihre kleine Tauchfahrt erledigt.«

»Was meinen Sie damit?«

»Das werden Sie dann schon sehen.«

»Reden Sie.«

»Reden ist langweilig. Kommen Sie, General Commander Li. Nicht so zimperlich. Erschie?en Sie mich und finden Sie’s raus.«

Li zogerte. »Was haben Sie mit dem Boot angestellt, Sie verdammter Idiot?«