»Ach so, Sie konnen ja auch gar nicht, Sie haben ja kein … Nun, ich bin leider ein bisschen knapp in der Zeit. Ich muss noch so vieles erledigen. Warum sehen Sie nicht einfach zu und …«

»Doktor! Nicht schon wieder. Sie wollten mir was uber die Funktionsweise erzahlen.«

»Ja, sicher. In meinen Publikationen …«

»Ich habe Ihre Publikationen gelesen, Doktor, und etwa die Halfte begriffen. Und ich bin wissenschaftlich vorgebildet. Popularwissenschaftliche Artikel mussen unterhalten, sie mussen in einer Sprache verfasst sein, die jeder kapiert.«

Bauer sah sie gekrankt an. »Ich finde meine Abhandlungen durchweg verstandlich.«

»Ja Sie. Und zwei Dutzend Kollegen weltweit.«

»Ach was. Wenn man den Text aufmerksam studiert «

»Nein, Doktor. Erklaren Sie’s mir.«

Bauer runzelte die Stirn, dann lachelte er nachsichtig. »Keiner meiner Studenten durfte sich das trauen. Mich so oft zu unterbrechen. Nur ich selber darf mich unterbrechen.« Er zuckte die mageren Schultern. »Aber was soll ich machen? Ich kann Ihnen nun mal nichts abschlagen. Nein, das kann ich nicht. Ich hab Sie gern, Karen. Sie sind eine … also, eine … Sie erinnern mich an … na, egal. Schauen wir uns den Drifter an.«

»Und danach reden wir uber die bisherigen Ergebnisse Ihrer Arbeit. Ich bekomme Anfragen.«

»So? Von wem denn?«

»Von Zeitschriften, Fernsehmagazinen und Instituten.«

»Interessant.«

»Nein, nur logisch. Die Konsequenz meiner Arbeit. Manchmal frage ich mich, ob Sie uberhaupt verstehen, was Pressearbeit eigentlich ist.«

Bauer grinste verschmitzt. »Erklaren Sie’s mir.«

»Gerne, wenn auch zum zehnten Mal. Aber erst erzahlen Sie mir was.«

»Nein, das ist schlecht«, rief Bauer aufgeregt. »Wir mussen die Drifter zu Wasser lassen, und gleich danach muss ich dringend …«

»Danach mussen Sie tun, was Sie mir versprochen haben«, ermahnte ihn Weaver.

»Aber, Kind, ich bekomme ebenfalls Anfragen. Ich korrespondiere mit Wissenschaftlern in aller Welt! Sie glauben ja gar nicht, was die von mir wollen. Vorhin erhielt ich eine E-Mail, da fragt mich jemand nach einem Wurm. Ein Wurm, stellen Sie sich das mal vor! Und ob wir erhohte Methankonzentrationen gemessen haben.

Naturlich haben wir das, aber wie kann er das wissen? Da muss ich doch …«

»Das kann ich alles ubernehmen. Machen Sie mich zur Komplizin.«

»Sobald ich …«

»Falls Sie mich wirklich gern haben.«

Bauer machte runde Augen. »Ach so! Verstehe.« Er begann zu kichern. Die runden Schultern schuttelten sich vor unterdrucktem Lachen. »Sehen Sie, darum habe ich nie geheiratet, man wird standig nur erpresst. Gut, ich gelobe Besserung. Jetzt kommen Sie, kommen Sie.«

Weaver folgte ihm. Der Drifter hing am Ausleger uber der grauen Wasseroberflache. Er war mehrere Meter lang und steckte in einem Stutzgestell. Uber die Halfte der Konstruktion nahm eine schlanke schimmernde Rohre ein. Den oberen Teil bildeten zwei kugelformige Glasbehalter.

Bauer rieb sich die Hande. Der Daunen-Anorak war ihm eindeutig zu gro?. Er sah darin aus wie ein sonderbarer arktischer Vogel.

»Also, dieses Ding geben wir in die Stromung«, sagte er. »Es wird mittreiben, sozusagen als virtuelle Wasserpartikel. Erst mal steil nach unten, hier namlich sturzt das Wasser, wie ich vorhin sagte … also, man sieht naturlich keinen Prozess des Sturzes, verstehen Sie, aber es sturzt … nun, wie soll ich das erklaren?«

»Moglichst ohne Fremdworter.«

»Gut, gut. Passen Sie auf! Im Grunde ist es ganz einfach. Man muss wissen, dass Wasser nicht immer gleich schwer ist. Das leichteste Wasser ist su? und warm. Salziges Wasser ist schwerer als su?es Wasser, je salziger, je schwerer. Salz hat schlie?lich ein Gewicht, nicht wahr? Kaltes Wasser ist wiederum schwerer als warmes Wasser, es hat eine hohere Dichte, also wird Wasser umso schwerer, je mehr es abkuhlt.«

»Und kaltes, salziges Wasser ist das schwerste Wasser uberhaupt«, erganzte Weaver.

»Richtig, sehr richtig!«, freute sich Bauer. »Darum gibt es nicht einfach nur Meeresstromungen, sondern sie walzen sich durch verschiedene Etagen. Warme Stromungen an der Oberflache, die kaltesten am Boden, und dazwischen haben wir die Tiefenstromungen. Nun ist es so, dass eine warme Stromung an der Oberflache uber tausende von Kilometern reisen kann, bis sie in kalte Gebiete vordringt, wo das Wasser dann naturlich abkuhlt, nicht wahr? Und wenn das Wasser kalter wird …«

»Wird es schwerer.«

»Bravo, jawohl. Es wird schwerer und sinkt nach unten. Aus dem Oberflachenstrom wird ein Tiefenstrom oder gar ein Bodenstrom, und das Wasser flie?t zuruck. Umgekehrt funktioniert das genauso. Von unten nach oben, von kalt nach warm. Auf diese Weise sind alle gro?en Meeresstromungen auf der Welt standig in Bewegung. Alle sind miteinander verbunden, es findet ein standiger Austausch statt.«

Der Drifter wurde zur Meeresoberflache hinuntergelassen. Bauer hastete zur Reling und beugte sich weit daruber. Dann drehte er sich um und winkte Weaver ungeduldig herbei. »Na, kommen Sie. Kommen sie schon. Hier sehen Sie es besser.« Sie trat neben ihn. Bauer sah mit leuchtenden Augen hinaus.

»Ich traume davon, dass solche Drifter in allen Stromungen mittreiben«, sagte er. »Das ware wirklich phantastisch. Wir wurden unglaublich viel erfahren.«

»Wofur sind die beiden Glaskugeln?«

»Wie? Was? Ach so. Auftriebskorper. Damit der Drifter in der Wassersaule schweben kann. Am Fu? hat er Gewichte, aber das Herzstuck ist die Stange dazwischen. Darin sitzt alles. Steuerelektronik, Microcontroller, Energieversorgung. Aber auch ein Hydrokompensator. Ist das nicht phantastisch? Ein Hydrokompensator!«

»Es ware noch phantastischer, wenn Sie mir erzahlen, was das ist.«

»Oh, ah … naturlich.« Bauer zupfte an seinem Spitzbart. »Tja, wir haben uberlegt, wie wir den Drifter … — Also, es ist ja so: Flussigkeiten sind so gut wie inkompressibel, man kann sie nicht zusammenstauchen. Wasser bildet eine Ausnahme. Viel ist auch da nicht drin, aber ein bisschen konnen Sie es durchaus, ahm … quetschen. Und das tun wir. Wir komprimieren es in der Stange, sodass immer die gleiche Wassermenge darin ist, aber mal schwereres und mal leichteres Wasser. Damit verandert der Drifter bei gleichem Volumen sein Gewicht.«

»Genial.«

»In der Tat! Wir konnen ihn so programmieren, dass er das ganz von alleine macht: Kompression, Dekompression, Kompression, Dekompression, sinken, steigen, sinken, vollig ohne unser Zutun … hubsch, nicht?«

Weaver nickte. Sie sah zu, wie das lange Gebilde in die grauen Wellen tauchte.

»Der Drifter kann auf diese Weise Monate und Jahre autark im Meer treiben und akustische Signale abgeben. So konnen wir ihn orten und Geschwindigkeit und Verlauf von Stromungen rekonstruieren. — Ah, er taucht ab. Weg ist er.«

Der Drifter war im Meer verschwunden. Bauer nickte befriedigt.

»Und wohin treibt er nun?«, fragte Weaver.

»Das ist die spannende Frage.«

Weaver sah ihn einfach an. Bauers Blick flackerte, dann lie? er ein Seufzen der Resignation horen.

»Ich wei?, Sie wollen uber meine Arbeit reden.«

»Und zwar jetzt.«

»Sie sind ein Qualgeist. Meine Gute, sind Sie hartnackig. Also gut, gehen wir ins Labor. Aber ich muss Sie warnen. Die Ergebnisse meiner Arbeit sind beunruhigend, gelinde ausgedruckt ….«

»Die Welt liebt es, sich beunruhigen zu lassen. Haben Sie nicht gehort? Quallenseuchen, Anomalien, Menschen gehen verloren, eine Schiffskatastrophe jagt die nachste. Sie waren in bester Gesellschaft.«

»So?« Bauer schuttelte den Kopf. »Sie haben wahrscheinlich Recht. Ich werde nie genau verstehen, was Pressearbeit ist. Ich bin nur ein einfacher Professor. Es ist mir einfach zu hoch.«

Norwegische See, Kontinentalrand