Das Wachboot ruderte hastig zuruck, die Riemen wuhlten das Wasser zu Schaum. Es war keine Zeit zu verlieren.
Bolitho brullte:»Rammt sie! Schnell!»
Er verga? das Brullen, uberhorte sogar den Knall eines weiteren Gewehrschusses, als der Schoner drehte und wie eine Galeere gegen das Wachboot stie?.
Es war ein markerschutternder Aufprall. Bolitho sah Riemen und Plankenstucke vorbeitreiben, Menschen muhten sich im
Wasser ab, deren Schreie im auffrischenden Wind und dem Killen der Segel untergingen.
Das Schatzschiff uberragte sie turmhoch. Einige Gestalten, die sich soeben noch nach der Ursache der Detonationen umgesehen hatten, rannten die Reling entlang, andere zeigten gestikulierend auf den angreifenden Schoner.
«Klar zum Entern!«Bolitho griff zum Degen und zog den um seine Taille gebundenen Tampen enger. Als sie die letzten hundert Meter zurucklegten, hatte er die Gefahr und auch die Sorge um sein unzuverlassiges Auge vergessen.
«Ruder hart uber! Runter mit dem Toppsegel!»
Gewehrkugeln flogen uber ihre Kopfe, eine mei?elte einen langen Splitter aus dem Deck.
«Feuer einstellen!«Parris schritt vorwarts und achtete auf seine Manner, die geduckt den Zusammensto? mit dem Spanier erwarteten.
Bolitho erblickte die aufgehangten Netze, die sie am Entern hindern sollten, sah Gesichter durch die Maschen peilen, eine einzelne Figur ein Gewehr laden, und hielt sich mit einem Bein am Vorwant fest.
In der Bordwand des Spaniers klappte wie das Auge eines erwachenden Mannes eine Stuckpforte auf. Dann wurde die Mundung des Rohrs sichtbar, und Sekunden spater zuckte die Feuerzunge hervor, der ein ohrenbetaubender Knall folgte. Doch war es nur eine trotzige Geste, die Kugel landete harmlos im Wasser wie ein springender Delphin.
Als auch das letzte Segel den Wind verlor, stie? der Kluverbaum des Schoners durch die Backbordwanten des Spaniers und zersplitterte. Zerrissenes Tauwerk und gebrochene Blocke rieselten auf die Back, ehe beide Schiffsrumpfe mit einem furchterlichen Krachen gegeneinander prallten. Der Vormast der Spica fiel wie ein abgesagter Zweig, aber durch seine zerfetzte Leinwand und wirre Takelage rannten Manner, blind fur alles andere und nur bestrebt, den Feind zu entern.
«Drehbasse!«Bolitho ri? den Fahnrich zur Seite, als die nachste
Basse in ihrem Pivot einruckte und ihre morderische Ladung uber die schnabelformige Galion des Gegners prasselte. Manner fielen strampelnd ins Wasser. Ihre Schreie wurden unhorbar, als Parris mit den Sechspfundern feuern lie?.
Allday hielt sich keuchend an Bolithos Seite, das Entermesser baumelnd am Handgelenk, als er auf die Verschanzung des Spaniers sprang. Ihn von achtern zu entern, ware unmoglich gewesen; das hohe Heck ragte mit dem vielen Schnitzwerk wie eine pompose Klippe empor. Vorne ging es leichter. Manner erstiegen die Galion und hackten jeden Widerstand beiseite, wahrend andere sich einen Weg durch die Netze schnitten.
Ein Spie? zuckte vor wie die Zunge eines gro?en Reptils.
Einer von Parris' Leuten fiel zuruck, die Hande in den Bauch gekrallt, und sturzte mit entsetzten Augen ins Wasser hinunter. Ein anderer, der sich nach ihm umdrehte, fing an zu gurgeln, als der Spie? in seinen Hals drang und im Nacken wieder herausfuhr; er sturzte seinem Freund nach.
Dacie war mit einigen Seeleuten schon an Deck gelangt. Sie rissen die restlichen Netze weg. Bolitho fuhlte, da? ihn jemand beim Handgelenk packte und durch eine Lucke hinuberzog. Ein anderer taumelte mit glasigen Augen gegen ihn, eine Kugel hatte ihm die Brust zerschmettert.
«Manner der Hyperion, her zu mir!«Parris schwenkte seinen bluttriefenden Sabel.»Aufs Steuerbord-Seitendeck!»
Schusse krachten, Querschlager winselten uber ihren Kopfen. Zwei weitere Leute fielen, im Todeskampf eine blutige Spur auf den Planken hinterlassend.
Bolitho starrte grimmig nach achtern, als die Drehbassen die hohe Poop bestrichen. Sie fegten eine Handvoll Manner weg, die wie durch Zauberhand dort aufgetaucht waren. In Sekundenschnelle bemerkte er, da? sie nur teilweise bekleidet oder ganzlich nackt waren: wahrscheinlich einige Schiffsoffiziere, die der plotzliche Uberfall aus dem Schlaf gerissen hatte.
Parris besetzte mit seinen Leuten den Steuerbordgang, wo sie eine Drehbase nahmen und auf eine offene Luke richteten, aus der ihnen noch mehr Gesichter entgegenstarrten.
Als auch der Rest des englischen Enterkommandos den kleinen Schoner verlassen hatte, nahmen die Schweden die Gelegenheit wahr, um ihr Fahrzeug zusammen mit den Booten der Hyperion vom Schatzschiff freizuhacken.
Dacie schwang sein Enterbeil.»Auf sie, Jungs!»
Jede Teerjacke wu?te, da? es kein Zuruck gab, nur Sieg oder Tod. Fur das, was sie angerichtet hatten, wurden ihnen die Spanier kein Pardon gewahren. Bolitho hielt inne, vom bei?enden Pulverdampf tranten ihm die Augen, aber er sah, da? die Matrosen sich in Gruppen aufteilten. Zwei stellten sich an das Doppelruderrad unterm Huttendeck, andere schwarmten schon nach oben aus und setzten die Marssegel, wahrend Dacie nach vorn eilte, um das dicke Ankerkabel zu kappen.
Aus den Niedergangen krachten Schusse, die aber sofort von den Drehbassen erwidert wurden. Deren geballte Ladungen verwandelten die uberfullten Treppen in blutige Schlunde.
Aus dem Nichts erschien ein Spanier und stach auf einen bereits schwerverwundeten Seemann ein, der auf allen Vieren davonkroch. Ihm gegenuber stand mit einem Dolch in der Hand der kleine Fahnrich Hazlewood, als der Spanier von seinem Opfer ablie?. Zwischen beide sprang Allday und brullte heiser:»Hierher, Freundchen!«, als ob er einen Hund riefe. Der Spanier zogerte mit erhobener Klinge, zu spat erkannte er die Gefahr. Alldays schweres Entermesser traf ihn mit einer derartigen Wucht uberm Schlusselbein, da? es aussah, als wolle er ihm den Kopf abschlagen. Der Mann flog herum, sein Sabel fiel klirrend an Deck, und Allday schlug erneut zu. Hinterher grollte er:»Holen Sie sich eine vernunftige Klinge, Mr. Hazlewood, mit dem Piekser da konnen Sie nicht mal eine Ratte toten!»
Bolitho eilte achteraus ans Ruder. Er sah, wie sich der Steven aufs nachste Fort richtete, gleic hzeitig kam der Ruf:»Ankerkabel ist los!»
«Setzt die Marssegel! Beeilt euch, ihr Hunde!»
Dacies einziges Auge leuchtete wie eine Glasperle im Sonnenlicht. Parris wischte sich mit einem zerfetzten Armel den Mund.»Wir sind in Fahrt!«jubelte er dann.»Wir segeln! Uber das Ruder!»
Au?enbords platschte es, dann sahen sie einige spanische Seeleute vom Schiff fortschwimmen. Sie mu?ten aus den Stuckpforten gesprungen sein, um dem Abschlachten an Deck zu entgehen.
Fahnrich Hazlewood taumelte mit niedergeschlagenen Augen zu Bolitho, voller Angst vor dem furchtbaren Anblick, der sich ihm bot. Bei den Speigatten lagen Leichen, getroffen von den doppelten Sechspfunderkugeln, und andere, welche die Eindringlinge hatten abwehren wollen, als die Drehbassen das Deck mit ihren morderischen Schrapnells bestrichen.
Ein Kluver blahte sich im Wind, das gro?e Schiff begann anzuluven. Seinem Tiefgang nach zu urteilen, mu?te es seine kostbare Ladung schon ubernommen haben. Wie wurde der Kommandant des Forts sich verhalten? Wurde er auf sie schie?en, oder lie? er sie lieber davonsegeln, als sie zu versenken?
Das zweite Schatzschiff schien ihnen entgegenzugleiten. Wie blitzende Nadelstiche kam Gewehrfeuer aus seinen Masten, aber bei dieser Entfernung ware es ein Wunder gewesen, wenn die Toppgasten oder gar die an Deck Stehenden getroffen worden waren.
Bolitho drangte:»Reicht mir ein Glas!«Hazlewood fummelte damit herum, seine Hand zitterte noch vor Schreck. Er war um Haaresbreite dem Tod entronnen, als ihn Alldays Entermesser vor dem Schlimmsten bewahrt hatte.
Bolitho schwenkte das Glas auf das andere Schiff, das nun zwischen ihnen und dem Fort lag. War es erst aus dem Weg, wurde jedes Geschutz der Batterie auf sie gerichtet sein. Wenn ich Kommandant des Forts ware, wurde ich trotzdem schie?en, dachte Bolitho. Ein Schiff zu verlieren, war schon schlimm genug, aber einen solchen Schatz ohne weiteres entwischen zu lassen, durfte wenig Gnade vor dem Oberbefehlshaber in Caracas finden.