XVII Klar zum Gefecht!
Kapitan Valentine Keen ging uber das schrage Deck und stemmte seine Schultern gegen den Wind. Wie schnell das Mittelmeer in dieser Jahreszeit doch sein Gesicht andern konnte! Der Himmel war hinter tiefhangenden Wolken verborgen und die See grau.
Er blickte zum truben Horizont. Alles sah feindselig und kalt aus. In der Nacht hatte es stark geregnet. Jeder erreichbare Mann war an Deck geschickt worden, um mit Segeltuchputzen und einfachen Eimern Frischwasser aufzufangen. Ein Glas davon, mit einem Schluck Rum heruntergespult, belebte die Geister.
Das Deck neigte sich wieder, Hyperion lag so hart am Wind, wie es sich machen lie?. Ihre gerefften Segel glitzerten vor Feuchtigkeit, wahrend sie ihre Position hielt.
Wie schon Isaak Penhaligon, der Segelmeister, erlautert hatte: Bei dem auf Nordost drehenden Wind war es schwer genug, auf Herricks Schiffe zu warten, auch ohne die zusatzliche Last des Wendens auf jeder Wache. Denn wenn sie zu weit nach Westen trieben, war es fast unmoglich, Toulon anzusteuern, sollte der Feind versuchen, diesen Hafen wieder zu erreichen.
Keen stellte sich die Karte vor. Sie waren bereits am kritischen Punkt angelangt. Bei derart schlechter Sicht konnten sie sich meilenweit vom geschatzten Kurs entfernt haben.
Keen ging zur Querreling und schaute aufs Hauptdeck hinunter. Trotz des Regens steckte es wie gewohnlich voller Leben. Da war Triggs, der Segelmacher, mit seinen Gehilfen. Auf dem Boden hockend, reparierten sie das Schwerwettertuch, das man ihnen von unten brachte. Triggs war erfahren genug, um zu wissen, da? man im Atlantik auf der Suche nach einem Feind jedes Reservesegel benotigen wurde.
Sheargold, der Zahlmeister, uberwachte mit argwohnischem Gesicht eine Anzahl Fasser mit Salzfleisch, die aus einer Luke geholt wurden. Keen beneidete ihn nicht um sein Geschaft. Sheargold hatte fur jede Seemeile vorauszuplanen. Jede Verzogerung oder plotzliche Anderung der Segelorder konnte das Schiff in die entgegengesetzte Richtung schicken, ohne da? er Zeit fand, die Vorrate aufzufullen.
Kaum einer dankte es ihm. Im allgemeinen hielt man in den unteren Decks die Zahlmeister fur wohlhabend, wenn sie sich zur Ruhe setzten — nachdem sie ihr Gluck durch Kurzen der ohnehin durftigen Portionen der Mannschaft gemacht hatten.
Major Adams stand vorne und uberwachte eine Gruppe Seesoldaten beim Griffeklopfen. Wie grell sich doch ihre Scharlachrocke und wei?en Schulterriemen bei dem milchigen Licht abhoben, dachte Keen.
Er horte den Bootsmann, Sam Lintott, uber den neuen Kutter mit einem Gehilfen reden. Letzterer hie? Dacie und hatte das Aussehen eines Banditen. Man hatte Keen erzahlt, welche Rolle er beim Handstreich auf das spanische Schatzschiff gespielt hatte.
Er glaubte es ohne weiteres. So wie der aussah, mit seiner Augenbinde und der krummen Schulter, konnte er jeden das Furchten lehren.
Leutnant Parris naherte sich.»Bitte um Erlaubnis zum Geschutzexerzieren heute nachmittag, Sir.»
Keen nickte.»Das wird sie nicht gerade freuen, aber es ist eine gute Idee.»
Parris schaute auf die See hinaus.»Werden wir auf die Franzosen treffen, Sir?»
Keen fixierte ihn. Au?erlich unbefangen und umganglich mit der Mannschaft, schlug er sich innerlich doch mit etwas herum, was sogar in beilaufigen Gesprachen durchklang. War er hinter einem neuen Kommando her? Keen wu?te nicht, weshalb er seines verloren hatte. Er hatte von Havens Ha? auf ihn gehort. Aber vielleicht gab es noch einen weiteren ubergeordneten Offizier, mit dem er die Klingen gekreuzt hatte.
Er entgegnete:»Sir Richard ist hin und hergerissen zwischen dem Zwang, die Zufahrten nach Toulon zu uberwachen, und der Wahrscheinlichkeit eines baldigen Befehls, der uns zur Flotte ruft.»
Bolitho sa? derweil in der Kajute, diktierte Yovell und dessen Gehilfen Briefe und erzahlte dem jungen Jenour, was man von ihm erwartete, wenn sie auf den Feind stie?en. Keen hatte es schon mit Bolitho diskutiert. Bolitho schien unter Druck zu stehen.»Ich habe keine Zeit, alle meine Kommandanten zusammenzurufen«, sagte er.»Vielmehr mu? ich darauf bauen, da? sie mich gut genug kennen, um auf meine Befehle richtig zu reagieren. «Keine Zeit? Das war seltsam. Bolitho schien anzunehmen, da? eine Schlacht unvermeidlich war.
Parris sagte:»Ich uberlege, ob wir dann Viscount Somervell wiedersehen werden.»
Keen merkte auf.»Was geht es Sie an?«Er milderte seinen Ton.»Ich wurde sagen, er halt sich besser von uns fern.»
Parris stimmte zu.»Ja. Tut mir leid, da? ich ihn erwahnt habe,
Sir. «Er las den Zweifel in Keens Augen.»Das hatte nichts mit Sir Richard zu tun. «Keen schaute beiseite.»Hoffentlich.»
Er argerte sich uber Parris' Interesse, mehr noch uber sein eigenes sofortiges Abschirmen Bolithos. Er ging zur Windseite, lie? sich vom Fahnrich der Wache ein Fernrohr geben und richtete es auf die ihnen folgenden Schiffe. Die drei Vierundsiebziger bekamen es fertig, den richtigen Abstand zu halten. Der vierte, Merryes Capricious, verschwand fast in Gischt und Schaum. Er lag etwas zuruck, weil man daran arbeitete, die Gro?bramstenge zu ersetzen, die eine plotzliche Bo weggerissen hatte, bevor man die Segel reffen konnte.
Keen lachelte. Die Verantwortung eines Kommandanten horte nie auf. Der Mann, den die anderen fur einen Halbgott hielten, wurde nichtsdestoweniger in seiner Kajute umhergehen und sich um alles und jedes sorgen.
Ein Ausguck rief:»An Deck! Tybalt signalisiert!»
Keen sah den Fahnrich an.»Hoch mit Ihnen, Mr. Furnival, Tybalt wird Neuigkeiten fur uns haben.»
Spater ging Keen in die Kajute hinunter und meldete sich bei Bolitho. »Tybalt sichtet den Rest des Geschwaders im Osten, Sir Richard.»
Der Admiral schaute von seinen Papieren hoch. Er sah mude aus.»Immerhin etwas, Val. «Er deutete auf einen Stuhl.»Ich wurde Sie ja bitten, sich zu uns zu setzen, aber ich wei?, Sie werden an Deck gebraucht, bis die Schiffe naherkommen.»
Als Keen ging, meinte Sir Piers Blachford:»Ein guter Mann, er gefallt mir. «Er lag halb in einem von Bolithos Sesseln, ein ruhender Held.
Yovell packte seine Briefe zusammen und die Notizen, die er den verschiedenen Kopien beifugen wollte. Ozzard trat ein, um die leeren Kaffeetassen abzuraumen, indes Allday den prachtigen Paradedegen polierte. Er war ein Geschenk der Einwohner von Falmouth fur Bolithos Leistungen im Mittelmeer und bei den Vorgangen, die zur Schlacht von Abokir gefuhrt hatten.
Bolitho blickte auf.»Vielen Dank, Ozzard.»
Blachford hieb mit der Faust auf die Armlehne.»Naturlich, jetzt wei? ich's! Ozzard ist doch ein ungewohnlicher Name, nicht wahr?»
Allday hatte mit dem Polieren aufgehort.
Blachford nickte gedankenversunken.»Ihr Sekretar und all die Briefe, die er zu kopieren hatte, brachten mich wieder darauf. Meine Leute bedienten sich einmal der Dienste eines gleichnamigen Schreibers unten bei den Londoner Docks — sonderbar, diese Namensgleichheit.»
Bolitho blickte auf den Brief nieder, den er zu beenden gedachte, sobald die anderen ihn verlassen hatten. Er wollte seine Empfindungen Catherine mitteilen, ihr von der unsicheren Zukunft erzahlen, die vor ihm lag. Als ob er mit ihr sprache wie in jenen Augenblicken, als sie beieinander gelegen hatten und sie ihn zum Reden ermutigte.
Er entgegnete zerstreut:»Ich habe ihn nie danach gefragt.»
Aber Blachford lie? nicht locker.»Wie konnte ich das blo? vergessen? Ich war selbst hineinverwickelt. Es war der grausamste Mord, fast gegenuber vom Laden des Schreibers. Na so was, wie konnte ich das vergessen?»
In der Anrichte klirrte zerbrochenes Geschirr, und Bolitho erhob sich halb aus seinem Stuhl. Aber Allday kam ihm zuvor.»Ich sehe mal nach. Er mu? gestolpert sein.»
Blachford nahm das Buch wieder auf, in dem er gelesen hatte, und meinte:»Kein Wunder bei dieser Schlingerei.»