Bolitho dachte an Belindas gro?es Haus in London.»Ich habe niemanden versto?en. Ich habe vielmehr jemanden gefunden, den ich lieben kann. Mit Horigkeit hat das nichts zu tun. «Er erhob sich und wanderte zu den Fenstern.»Du wei?t, da? ich mich in diesen Dingen nicht leichtsinnig verhalte. «Er fuhr herum:»Verurteilst auch du mich? Wer bist du denn — Gott?»
Sie standen einander wie Feinde gegenuber. Dann sagte Bolitho:»Ich brauche Catherine und bete, da? auch sie mich immer brauchen moge. Und nun la? uns damit aufhoren.»
Herrick holte tief Atem und fullte beide Glaser nach. Die blauen Augen auf Bolitho gerichtet, erwiderte er:»Ich werde niemals damit einverstanden sein. Aber es wird meine Pflichterfullung nicht beeinflussen.»
Bolitho nahm wieder Platz.»Sprich nicht von Pflichten zwischen uns, Thomas. Ich hatte zuviel davon in letzter Zeit.»
Dann kam er auf das eigentliche Thema zuruck.»Fur unsere jetzt vereinigten Geschwader sind wir gemeinsam verantwortlich. Ich eigne mir nicht deine Fuhrungsrolle an, das sollst du wissen. Ich teile aber auch nicht die Ansichten Ihrer Lordschaften uber die Franzosen. Pierre Villeneuve ist ein Mann von gro?er Intelligenz, er halt sich nicht stur an seine Gefechtsinstruktionen. Andererseits mu? er vorsichtig sein; denn wenn er bei seinem eigentlichen Auftrag versagt, den Kanal fur die Invasion frei zu machen, stirbt er unter der Guillotine.»
«Barbaren«, murmelte Herricks.
Bolitho nickte.»Wir mussen jede Moglichkeit berucksichtigen und unsere Schiffe zusammenhalten, mit Ausnahme der Aufklarer. Wenn die Zeit kommt, wird es schwer sein, Nelson und den tapferen Collingwood zu finden.»
Bedachtig setzte er sein Glas ab.»Ich glaube namlich nicht, da? die Franzosen bis zum nachsten Jahr warten werden. Sie haben ihren Kurs schon abgesteckt. «Er schaute auf die in der Sonne ankernden Schiffe hinaus und schlo?:»Wir aber auch.»
Herrick fuhlte sich wieder auf sicherem Boden.»Wer ist jetzt dein Flaggkapitan?»
«Kapitan Keen. Es gibt keinen besseren, jedenfalls nicht, seit du uber meinen Einflu? hinausgewachsen bist.»
Herrick verbarg nicht seine Ruhrung.»So hat es uns also alle wieder zusammengefuhrt?»
«Nur denk daran, Thomas, heute sind wir noch weniger.»
Bolitho stand auf und nahm seinen Hut.»Ich mu? zur Hyperion zuruck. Vielleicht spater. «Aber er sprach es nicht aus, sondern legte Herricks Briefe auf den Tisch.
«Von England, Thomas. Es werden noch mehr >Neuigkeiten< drin sein. «Ihre Blicke trafen sich, und Bolitho schlo? leise:»Mir ware es lieber gewesen, du hattest es von mir selbst erfahren, von deinem Freund, statt deine Ohren mit Klatsch aus London zu beschmutzen.»
Herrick protestierte.»Ich wollte dich nicht verletzen, ich mache mir nur Sorgen um dich.»
Bolitho zuckte die Achseln.»Wir kampfen zusammen in einem Krieg, Thomas, das mu? genugen.»
Sie standen Seite an Seite an Deck, wahrend Allday mit dem Boot hastig herbeiruderte. So war er noch nie uberrascht worden. Wie alle anderen hatte auch er angenommen, da? der Vizeadmiral langer bei seinem Freund bliebe. Bolitho schritt zur Relingspforte, wahrend die Seesoldaten Gewehre prasentierten, deren Bajonette wie Eis in der Sonne glitzerten. Sein Schuh verfing sich in einem Ringbolzen, und er ware gefallen, wenn ihn nicht ein Leutnant gestutzt hatte.»Danke, Sir!»
Er sah den Major der Wache heruberschielen, den prasentierten Degen noch in der behandschuhten Faust, und Herrick in jahem Erschrecken zu ihm treten.»Fuhlen Sie sich nicht wohl, Sir Richard?«Bolitho schaute zum nachstliegenden Schiff hinuber und bi? die Zahne zusammen. Wieder uberzog der Schleier sein Auge. Dieser Besuch hatte ihn so bewegt und enttauscht, da? er alle Vorsicht vergessen hatte. Im Nahkampf hatte es nur einer Sekunde bedurft.
Er erwiderte:»Wohl genug, vielen Dank. «Sie sahen sich an.»Es soll nicht wieder vorkommen.»
Einige Seeleute waren in die Wanten geklettert und begannen zujubeln, als das Boot aus dem Schatten ins Sonnenlicht lief.
Allday legte Ruder und lauschte den Jubelrufen, die sich auf die anderen Vierundsiebziger ubertrugen. Ihr Narren, dachte er argerlich. Was wi?t ihr schon? Nur er hatte es gemerkt, hatte es sogar unten im Boot gefuhlt: zwei Freunde, die sich nichts mehr zu sagen hatten, um die Kluft zu uberbrucken, die sie trennte wie ein Burggraben.
Er sah, da? der Schlagmann mehr auf Bolitho achtete als auf seine Arbeit, und funkelte ihn an, bis der andere erbla?te. Allday schwor sich, nie mehr jemanden nach dem blo?en Au?eren zu beurteilen. Fur oder gegen Bolitho, das sollte sein Ma?stab sein.
Bolitho drehte sich plotzlich um und beschattete seine Augen.
«Schon gut, Allday, entspann dich.»
Allday verga? den unaufmerksamen Schlagmann und grinste verlegen zuruck. Bolitho konnte sogar hinter seinem Rucken Gedanken lesen.»Ich habe mich nur erinnert, Sir Richard.»
«Ich wei?, aber im Augenblick habe ich genug davon.»
Das Boot glitt an Hyperions Gro?rusten, und Bolitho schaute zur wartenden Ehrenwache auf. Er verhielt.»Zuweilen erhoffen wir eben zuviel, alter Freund.»
Dann war er ausgestiegen, und die schrillen Triller verkundeten seine Ankunft an Deck. Allday schuttelte den Kopf und murmelte:»So habe ich ihn noch nie gesehen.»
«Was ist, Steuermann?»
Allday drehte sich um, seine Augen blitzten.»Und du! Achte in Zukunft auf den Takt, oder ich zieh dir's Fell ab!»
Er starrte hart auf die hochragende Bordwand. Aus der Nahe konnte man die Narben der Schlacht unter dem Anstrich erkennen.
Wie wir selber, dachte er beunruhigt. Warten aufs letzte Gefecht. Wenn es dazu kam, wurde Bolitho alle Freunde brauchen, die er noch besa?.
XV Vereint handeln
Bolitho sa? an seinem Pult und setzte seine Unterschrift auf noch eine Depesche an die Admiralitat. Die Luft in der gro?en Kajute war schwer und feucht; selbst bei geoffneten Stuckpforten und offenem Oberlicht fuhlte er, wie der Schwei? ihm den Rucken hinunterrann. Er hatte seinen Rock abgelegt und das Hemd fast bis zur Taille aufgeknopft, aber das nutzte auch nichts.
Er schaute auf das Datum der nachsten Depesche, die Yovell ihm diskret unterschob. September. Mehr als drei Monate, seit er sich von Catherine verabschiedet hatte und nach Gibraltar zuruckgekehrt war. Er blickte zu den Heckfenstern hinaus — kaum ein Gekrausel heute. Die See war wie Glas, die Sonnenreflexe schmerzten beinahe. Sie schienen ihm viel langer, diese endlosen Tage des Gegenankreuzens in den Fangen eines wutenden Levanter oder des Stillliegens ohne den geringsten, die Segel fullenden Hauch.
So konnte es nicht weitergehen. Sie sa?en hier wie auf einem Pulverfa?. Zudem wurde das Frischwasser wieder knapp, was in den uberfullten Messedecks Unruhe hervorrufen konnte.
Vom Feind fehlte jede Spur. Hyperion und ihre Geleitschiffe lagen westlich von Sardinien, wahrend Herrick und sein erschopftes Geschwader von der Stra?e von Messina bis nordlich zur Bucht von Neapel patrouillierte.
Der andere Bewohner der Kajute hustelte hoflich. Bolitho sah auf und lachelte.»Routine, Sir Piers, aber es wird nicht mehr lange dauern.»
Sir Piers Blachford lehnte sich in seinem Sessel zuruck und streckte die Beine aus. Den Offizieren des Geschwaders war seine Ankunft mit der letzten Kurierbrigg lediglich als eine weitere Einmischung Londons erschienen: ein Zivilist, den man ihnen schickte, um zu sondieren und zu untersuchen, ein abzulehnender Eindringling.
Doch dieser merkwurdige Mann hatte nicht lange gebraucht, das alles zu andern. Wenn sie ehrlich waren, bedauerten die meisten von denen, die sein Eintreffen geargert hatte, nun seinen Fortgang.
Blachford war ein Seniormitglied des Kollegiums der Chirurgen und einer der wenigen, die sich freiwillig gemeldet hatten, die Geschwader der Navy zu besuchen, ungeachtet der eigenen Unbequemlichkeit. Er sollte die medizinische Versorgung in den spartanischen und oftmals entsetzlichen Verhaltnissen eines Kriegsschiffs untersuchen. Als Mann unerschopflicher Energie schien er niemals zu ermuden, wenn er von einem Schiff zum anderen gereicht wurde, sich mit den Bordarzten beriet und die Kommandanten uber eine bessere Nutzung ihrer mageren Versorgungsmoglichkeiten der Kranken unterrichtete.