Herrick nickte.»Einverstanden.»
«Darum sei nicht so streng, mein Freund. Zusammen konnen wir doch noch gewinnen.»
Er wandte sich wieder ab und schaute reglos aufs Wasser hinaus, bis er die Tur ins Schlo? fallen horte.
Bolitho setzte seine Unterschrift unter das letzte Schreiben und verfiel fur mehrere Minuten in Nachdenken.
Der Seegang war so steil wie zuvor, aber der Wind hatte nachgelassen, so da? sich das Schiff mit majestatischer Schwerfalligkeit hob und senkte. Bleiches Licht durchdrang den Dunst und lie? die Salzflecken auf dem Fensterglas wie Rauhreif funkeln. Die Luft war getrankt mit Feuchtigkeit, mit den Ausdunstungen von Hangematten, Kleidung, Menschen.
Er uberflog noch einmal den Schlu? des Briefes, den Phaedra zur Flotte bringen sollte. Nelson wurde als Seemann besser als alle anderen verstehen, was Bolithos Manner und Schiffe versuchen wollten.
Der Brief endete mit dem Satz:»Und ich danke Euch, Mylord, da? Ihr meinen Neffen mit der gleichen Begeisterung erfullt, die Eure Flotte so inspiriert.»
Er schob ihn Yovell zum Versiegeln hin und wog den anderen zwischen den Fingern. Dabei malte er sich Catherines dunkle Augen aus, wie sie jene Worte las, mit denen er ihr seine Liebe versicherte. Auch eine Menge anderer Briefe gingen mit der Phaedra ab. Was wurde Herrick seiner Dulcie erzahlen? Ihr gestriges Gesprach hatte bei ihm einen schlechten Nachgeschmack hinterlassen. Fruher ware so etwas unmoglich gewesen. Vielleicht anderten sich die Menschen doch, und er hatte sich geirrt.
Keen mochte seiner Zenoria geschrieben haben. Es war ihm ein gro?er Trost, da? Catherine bei ihr wohnte. Er stand auf, trotz der lauen Luft fror er plotzlich bis ins Mark. Val durfte nichts zusto?en. Nicht nach allem, was sie miteinander durchgemacht hatten.
Keen erschien und meldete:»Der Kommandant der Phaedra kommt an Bord, Sir Richard.»
Bolitho blickte uberrascht zur Tur, als Dunstan hereinplatzte: ein junger Mann voll unerschopflicher Energie und sicherlich einer der zerrauftesten Kommandanten, die ihm je unter die Augen gekommen waren. Bolitho streckte die Hand aus.»Gut, da? Sie selbst kommen. Man wollte Ihnen schon die Post an einer Leine ubergeben.»
Dunstan verbeugte sich und schaute sich um.»Ich dachte, pfeif auf den Seegang und fahre selbst ruber, Sir Richard.»
Bolitho deutete auf den Poststapel.»Ich lege alles in Ihre Hande. Es ist ein Brief fur Lord Nelson dabei, den sollten Sie ihm selbst aushandigen. «Er lachelte fluchtig.»Es ist mir offenbar bestimmt, ihm nie personlich zu begegnen. «Er hob den Blick.»Ich hore, Sie hatten Verluste?»
«Aye, Sir Richard. Zwei Tote und zwei Mann durch Splitter verwundet.»
Einen Augenblick sah Bolitho den Kommandanten hinter der Maske des jungen Draufgangers; die Erfahrungen und Risiken, den Moment der Wahrheit, wenn Tod in der Luft lag.
Dunstan fuhr fort:»Ich bedaure nur, da? ich nicht so lange bleiben konnte, um die Kampfkraft der Spanier genau abzuschatzen. Aber die verdammte Fregatte sa? mir im Nacken, und der Dunst verbarg viel. «Er zuckte die Achseln.
Bolitho bedrangte ihn nicht. Keen wurde Dunstans Beobachtungen und Kalkulationen neben seine eigenen in die Seekarten eintragen.
Dunstan sagte:»Dabei kam mir in den Sinn, wie seltsam es im Krieg zugeht, Sir Richard. Es war nur ein kleines Gefecht, aber mit eigenartigen Gegnern.»
«Ich wei?. Eine gekaperte britische Fregatte kampfte unter spanischen Farben gegen eine franzosische Prise unter englischer Flagge.»
Dunstan sah ihn voll an.»Ich mochte Sie bitten, jemand anderen zu Lord Nelson zu schicken. Mein Platz ist hier bei Ihnen.»
Bolitho nahm ihn am Arm.»Die Flotte mu? wissen, was vor sich geht, und erfahren, da? ich die gesichteten Schiffe daran hindern will, sich mit Villeneuve zu vereinigen. Es ist lebenswichtig. Und ich kann keinen anderen erubrigen. «Er schuttelte ihn leicht. »Phaedra hat schon genug fur mich und fur uns alle getan. Denken Sie daran, und sagen Sie es auch Ihren Leuten.»
Dunstan nickte. Seine Augen suchten Bolithos Gesicht, als wolle er es sich fur immer einpragen. Ungestum streckte er die Hand aus.»Dann gehe ich, Sir Richard. Und Gott sei mit Ihnen!»
Spater stand Bolitho noch eine ganze Weile allein in seiner Kajute, beobachtete die Korvette beim Wenden und sah ihre Stuckpforten eintauchen, als der Wind in die Segel griff. Er horte ferne Hochrufe, ob von der Phaedra oder von anderen Schiffen, war schwer zu sagen.
Er setzte sich hin und massierte sein Auge, dessen Trubung er so ha?te.
Allday polterte herein und beaugte ihn kritisch. »Phaedra ist also unterwegs.»
«Aye. «Bolitho wollte an Deck, das Geschwader wartete.
Noch vor der Abenddammerung mu?te es seine Schlachtformation eingenommen haben. Er dachte an seine Kommandanten. Wie wurden sie wohl reagieren? Vielleicht zweifelten sie an seinen Fahigkeiten oder erkannten Herricks Widerstand gegen seine Plane.
Allday fragte:»Kommt es zum Kampf?»
«Kann schon sein, alter Freund. «Bolitho sah ihn an.»Wenn wir ihnen in die Quere kommen, sind sie gezwungen zu kampfen. Wenn sie uns entwischen, werden wir sie jagen.»
Allday nickte, Ferne im Blick.»Also nichts Neues.»
Bolitho grinste, die Spannung wich von ihm.
«Nein, nichts Neues. Deine Pragnanz, Allday, konnten sie im Parlament gebrauchen.»
Am nachsten Morgen hatte sich das Wetter wieder geandert. Der Wind hatte gedreht und kam direkt aus Osten. Das lie? jedenfalls auf einen glatten Weg Richtung Toulon hoffen. Das Geschwader schob sich nach Nordwesten, irgendwo an Steuerbord lagen die Balearen.
Der sechste in der Linie, seine eigenen Schiffe fuhrend, war Konteradmiral Herrick. Seit Tagesanbruch war er auf den Fu?en, unfahig zu schlafen, aber auch nicht gewillt, seine Zweifel mit Flaggkapitan Gossage zu teilen.
Er stand auf dem breiten Achterdeck der Benbow und blickte nach den Schiffen aus. Unter dem fast klaren Himmel, den nur Schafchenwolken sprenkelten, boten sie einen schonen Anblick. Sein Gesicht wurde weicher, als er sich seiner Mutter erinnerte, in dem kleinen Haus in Kent, wo sie ihn geboren hatte. Achte immer auf die gro?en Schafe, Tommy! hatte sie ihm eingepragt.
Herrick drehte sich nach dem Ersten Leutnant um, der mit einigen Decksoffizieren die Tagesarbeit besprach. Was hatte die liebe alte Dame jetzt von ihrem Tommy gehalten?
Kapitan Gossage uberquerte das Deck, seinen Hut in dem flotten Winkel aufgedruckt, den er zu bevorzugen schien. Aber Herrick hatte keine Lust, die Zeit mit mu?iger Konversation zu verbringen. Er fuhlte sich unsicher, als hatte man ihn plotzlich seiner Autoritat beraubt. Er beschattete die Augen und spahte durch die Steuerbordwanten. Die einzige ihm verbliebene Fregatte, Tybalt, stand weit ab vom Geschwader und wurde als erste die feindlichen Schiffe sehen. Er bi? sich auf die Lippen, bis es schmerzte. Vorausgesetzt, der Feind hatte sie nicht schon uberholt.
Gossage bemerkte:»Ich nehme doch an, da? sich der Kommandant der Phaedra nicht geirrt hat, Sir?»
Herrick knurrte:»Jedenfalls hat irgendeiner die Mouette versenkt, und das hat er sich nicht eingebildet!»
Gossage konnte nicht an sich halten.»Hatte man uns auf Malta abgelost, waren wir jetzt sowieso in Gibraltar. Dann hatte unser Schiff die Ehre gehabt…»
Herrick platzte heraus:»Zum Teufel mit der Ehre! Sir Richard Bolitho gehort nicht zu jenen Mannern, die den Ruhm fur sich allein beanspruchen.»
Gossage hob die Augenbrauen.»Oh, ich verstehe, Sir.»
Innerlich schaumend vor Wut, drehte Herrick sich um. Nein, du verstehst gar nichts, dachte er. Wie er es auch anstellte, es gelang ihm nicht, die zwanzig Jahre, die er Bolitho nun schon kannte, aus seinem Gedachtnis zu streichen. Alle diese Siege, einige hart verdient, andere uberraschend leicht gewonnen. Schlimme Wunden, Landungen und Uberfahrten, bei denen sie sich manchmal fragen mu?ten, ob sie jemals wieder den Fu? auf festen Boden setzen wurden. Nun war das alles verdorben, fortgeworfen wegen einer.