An Methan.

Gewisserma?en lebten damit auch die Schwefelbakterien vom Methan, nur dass sie selber nicht drankamen. Denn das meiste Methan lagerte im sauerstofffreien Sediment, und Schwefelbakterien konnten ohne Sauerstoff nicht leben. Aber Archaen konnten es. Sie waren in der Lage, Methan ohne Sauerstoff zu knacken, noch kilometertief unter der Erdoberflache. Man schatzte, dass sie jahrlich 300 Millionen Tonnen des marinen Methans umsetzten, moglicherweise zum Wohle des Weltklimas, denn aufgespaltenes Methan konnte nicht als Treibhausgas in die Atmosphare entweichen. So gesehen waren sie beinahe eine Art Umweltpolizei.

Zumindest, solange sie sich auf weiter Flache verteilten.

Aber sie lebten auch in Symbiose mit Wurmern. Und dieser seltsame Wurm mit seinen monstrosen Kiefern war voll gepackt mit Konsortien von Schwefelbakterien und Archaen. Sie lebten in ihm und auf ihm. Mit jedem Meter, den er sich ins Hydrat bohrte, brachte er die Mikroorganismen tiefer hinein, und sie begannen, das Eis von innen zu zersetzen. Wie Krebs. Irgendwann verendeten die Wurmer, dann die Schwefelbakterien, aber die Archaen fra?en sich unbeirrt nach allen Seiten weiter durch das Eis hindurch zum freien Gas. Sie verwandelten das vormals kompakte Hydrat in eine porose, bruchige Masse, und das Gas trat aus.

Die Wurmer konnen das Hydrat nicht destabilisieren, horte Bohrmann sich sagen.

Richtig. Aber es war auch gar nicht ihre Aufgabe. Die Wurmer erfullten nur den Zweck, ihre Archaenfracht ins Eis zu schaffen. Wie Omnibusse: Methanhydrat, funf Meter Tiefe, alles aussteigen, an die Arbeit.

Warum haben wir das nie erwogen, dachte Bohrmann. Temperaturschwankungen des Meerwassers, Verringerung des hydrostatischen Drucks, Erdbeben, all das gehorte zum Schreckensrepertoire der Hydratforschung. Nur uber Bakterien hatte kaum jemand ernsthaft nachgedacht, obwohl bekannt war, was sie taten. Kein Mensch hatte im Traum das Szenario einer solchen Invasion entwickelt. Niemand hatte die Existenz eines Wurmes fur denkbar gehalten, der sich als methanotropher Selbstmorder herausstellte. Seine Vielzahl, seine Ausdehnung auf einen kompletten Kontinentalhang, absurd, unerklarlich! Die Armee der Archaen, getrieben von ihrem fatalen Appetit, in ihrer Masse faktisch unmoglich!

Und dann dachte er wieder: Wie um alles in der Welt sind diese Tiere dahin gekommen? Warum sind sie da? Was hat sie hingebracht?

Oder wer?

»Das Problem«, sagte Mirbach, »ist, dass unsere erste Simulation weitgehend auf linearen Gleichungen fu?te. Aber die Wirklichkeit verlauft nicht linear. Wir haben es mit teils exponenziellen und weitgehend chaotischen Entwicklungen zu tun. Das Eis bricht auseinander, das Gas darunter sprudelt unter Hochdruck hervor und rei?t ganze Brocken mit sich. Meeresboden sturzt ein, sodass der Zeitpunkt des Zusammenbruchs rasend schnell …«

»Schon gut.« Bohrmann hob die Hand. »Wie lange noch?«

»Ein paar Wochen. Ein paar Tage. Ein paar …« Mirbach zogerte. Dann zuckte sie die Schultern. »Es gibt eine Unwagbarkeit bei alledem. Wir wissen immer noch nicht, ob es tatsachlich stattfinden wird. Fast alles spricht dafur, aber das Szenario ist so ungewohnlich, dass wir uber blo?es Theoretisieren kaum hinauskommen.«

»Lassen wir das ganze diplomatische Versteckspiel. Was ist deine personliche Meinung?«

Mirbach sah ihn an.

»Ich habe keine.« Sie machte eine kurze Pause. »Wenn drei Wanderameisen auf ein gro?es Saugetier treffen, werden sie allenfalls tot getreten. Wenn dasselbe Saugetier auf ein paar tausend von ihnen trifft, wird es bei lebendigem Leib bis auf die Knochen abgenagt. So ahnlich stelle ich mir das mit Wurmern und Mikroorganismen vor. Capito?«

»Ruf Johanson an«, sagte Suess wieder. »Sag ihm, wir rechnen mit einem Storegga-Effekt.«

Bohrmann lie? langsam die Luft entweichen.

Er nickte stumm.

Trondheim, Norwegen

Sie standen am Rande der Landeplattform, von wo man auf den Fjord sehen konnte. Vom gegenuberliegenden Ufer war kaum etwas zu erkennen. Die See lag vor ihnen wie matter Stahl unter einem immer grauer werdenden Himmel.

»Du bist ein Snob«, sagte Lund mit Blick auf den wartenden Helikopter.

»Naturlich bin ich ein Snob«, erwiderte Johanson. »Wenn man von euch zwangsrekrutiert wird, hat man sich einen gewissen Snobismus verdient, findest du nicht?«

»Fang nicht wieder davon an.«

»Du bist auch ein Snob. Du darfst die nachsten Tage mit einem feinen Gelandewagen unterwegs sein.«

Lund lachelte. »Dann gib mir mal die Schlussel.«

Johanson fingerte in seiner Manteltasche herum, zog den Schlussel des Jeeps hervor und legte ihn in ihre Handflache. »Pass gut drauf auf, solange ich weg bin.«

»Keine Angst.«

»Und komm blo? nicht auf die Idee, mit Kare darin zu knutschen.«

»Wir knutschen nicht in Autos.«

»Uberall werdet ihr knutschen. Immerhin hast du gut daran getan, meinem Rat zu folgen und eine Lanze fur den armen Stone zu brechen. Jetzt kann er seine Fabrik selber aus dem Wasser fischen.«

»Auf die Gefahr hin, dich zu desillusionieren, dein Rat spielte dabei keine Rolle. Stone zu begnadigen war ausschlie?lich Skaugens Entscheidung.«

»Ist er denn begnadigt?«

»Wenn er alles wieder unter Kontrolle bringt, konnte er im Konzern uberleben.« Sie sah auf die Uhr. »Etwa um diese Zeit wird er wahrscheinlich mit dem Tauchboot runtergehen. Drucken wir ihm die Daumen.«

»Wieso schickt er keinen Roboter nach unten?«, wunderte sich Johanson.

»Weil er sie nicht alle hat.«

»Im Ernst.«

»Ich denke, er will beweisen, dass so eine Krise nur auf seine Art zu losen ist. Dass ein Clifford Stone unersetzbar ist.«

»Und das lasst ihr zu?«

»Wieso?« Lund zuckte die Achseln. »Er ist immer noch Projektleiter. Au?erdem hat er in einem Punkt Recht. Wenn er selber runtergeht, kann er die Lage differenzierter beurteilen.«

Johanson stellte sich vor, wie die Thorvaldson im konturlosen Grau lag, wahrend Stone dem Meeresboden entgegensank, um sich herum Finsternis und unter sich ein Ratsel. »Mutig scheint er jedenfalls zu sein.«

»Ja.« Lund nickte. »Er ist ein Arschloch, aber Mut kann man ihm wei? Gott nicht absprechen.«

»Alsdann.« Johanson ergriff seine Reisetasche. »Fahr mein Auto nicht zuschanden.«

»Keine Bange.«

Sie gingen gemeinsam zum Helikopter. Skaugen hatte ihm tatsachlich das Flaggschiff des Konzerns zur Verfugung gestellt, einen gro?en Bell 430, das Nonplusultra an Komfort und Flugruhe.

»Was ist das eigentlich fur ein Typ, diese Karen Weaver?«, fragte Lund an der Einstiegsture.

Johanson zwinkerte ihr zu. »Sie ist jung und wunderschon.«

»Idiot.«

»Was wei? ich? Keine Ahnung.«

Lund zogerte. Dann schlang sie die Arme um ihn. »Pass auf dich auf, ja?«

Johanson tatschelte ihr den Rucken. »Wird schon schief gehen. Was soll mir denn passieren?«

»Nichts.« Sie schwieg einen Moment. »Ubrigens hat dein Rat doch was bewirkt. Das, was du gesagt hast. Es hat den Ausschlag gegeben.«

»Zu Kare zu fahren?«

»Ein paar Dinge anders zu sehen. Ja, und zu Kare zu fahren.«

Johanson lachelte. Dann kusste er sie rechts und links auf die Wange. »Wir telefonieren, sobald ich dort bin.«

»Okay.«

Er stieg ins Innere und warf seine Tasche auf einen der Sitze hinter dem Piloten. Der Helikopter bot zehn Passagieren Platz, aber er hatte die Maschine fur sich allein. Allerdings wurden sie auch gut drei Stunden unterwegs sein.

»Sigur!«

Er drehte sich zu ihr um.

»Du bist … ich glaube, du bist wirklich mein bester Freund.« Sie hob etwas hilflos die Arme und lie? sie wieder fallen. Dann lachte sie. »Ich meine, was ich sagen will, ist …«

»Ich wei? schon«, grinste Johanson. »Du bist nicht gut in so was.«

»Nein.«