»Das konnen Sie doch nicht …«, begann Peak.

»Sal, offnen Sie die Tur!«

Sofern Peak etwas erwiderte, war es nicht zu verstehen. Es gab einen ohrenbetaubenden Knall, als die Scheibe auseinander flog. Tonnen von Meerwasser kamen ihnen entgegengeschossen. Weaver rannte los. Hinter ihr tosten die Wassermassen durch das Labor und zerstorten, was noch nicht zu Bruch gegangen war.

»Karen!«, horte sie Rubin. »Bitte lass mich nicht …«

Seine Stimme riss ab. Alles war voller Gischt. Sie sah Peak durch die offene Labortur humpeln. Li folgte ihm. Im Hinauslaufen schlug ihre Hand auf eine Stelle neben der Tur, und Weaver erkannte in plotzlichem Schrecken, was das zu bedeuten hatte.

Li wollte sie einschlie?en.

Die Flut klatschte gegen ihren Rucken und trug sie ein Stuck nach vorne. Sie sturzte hart auf ihre Knie, kam wieder auf die Beine. Sie war durchnasst bis auf die Knochen, aber den Phiolenkoffer hielt sie fest umschlungen. Japsend und bemuht, vom Wasser nicht zuruckgerissen zu werden, kampfte sie sich auf die Tur zu, die sich langsam schloss, legte die letzten Meter in einem einzigen Sprung zuruck, prallte gegen den Rahmen und wirbelte hinaus auf die Rampe.

Au?enlift

Greywolf und Anawak halfen Johanson auf die Beine. Der Biologe war schwer angeschlagen, aber bei Bewusstsein.

»Wo ist Vanderbilt?«, murmelte er.

»Fischen«, sagte Greywolf.

Anawak fuhlte sich, als sei er unter einen Eilzug geraten. Er war kaum in der Lage, aufrecht zu stehen, so sehr schmerzte ihn die Stelle, wo ihn Vanderbilts Ellbogen getroffen hatte.

»Jack«, wiederholte er immer wieder. »Mein Gott, Jack.« Greywolf hatte ihn gerettet. Es schien zur Tradition zu werden, dass Greywolf ihn rettete. »Wo kommst du plotzlich her?«

»Ich war vorhin ein bisschen rude«, sagte Greywolf. »Wollte mich entschuldigen.«

»Rude? Bist du wahnsinnig? Du hast keinen Grund, dich fur irgendetwas zu entschuldigen!«

»Ich find’s gut, dass er sich entschuldigen wollte«, achzte Johanson.

Greywolf grinste gequalt. Sein Gesicht unter der kupferfarbenen Haut hatte einen wachsernen Ton angenommen. Was ist los mit ihm?, dachte Anawak. Greywolfs Schulten bogen sich nach vorn, seine Augenlider flatterten …

Plotzlich sah er, dass Greywolfs T-Shirt voller Blut war. Einen Moment lang gab er sich der Illusion hin, es stamme von Vanderbilt. Dann erkannte er, dass der Fleck gro?er wurde und dass all das Blut aus Greywolfs Bauch quoll. Er streckte die Arme aus, um den Riesen aufzufangen, als erneut ein Donnerschlag aus dem Bauch der Independence drang. Das Schiff schwankte. Johanson taumelte gegen ihn. Anawak sah Greywolf nach vorn kippen und uber die Kante verschwinden. »Jack!« Er fiel auf die Knie und rutschte zu der Stelle, wo Greywolf verschwunden war. Der Halbindianer hing in einem der Netze und sah zu ihm hoch. Darunter wogte das Meer.

»Jack, gib mir deine Hand« Greywolf ruhrte sich nicht. Er lag nur da und starrte Anawak an, die Hande auf den Bauch gepresst. Noch mehr Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Vanderbilt! Das verdammte Schwein hatte ihn getroffen. »Jack, es wird alles gut.« Worte wie aus einem Film.

»Gib mir die Hand. Ich ziehe dich hoch, wir kriegen das alles wieder hin.«

Neben ihm robbte Johanson heran. Er legte sich auf den Bauch und versuchte, nach unten ins Netz zu langen, aber es war zu tief.

»Du musst irgendwie hochkommen«, sagte Anawak hilflos. Dann fasste er einen Entschluss. »Nein, bleib da. Ich komme zu dir runter. Ich hieve dich raus, und Sigur hilft von oben.«

»Vergiss es«, sagte Greywolf gequetscht.

»Jack …«

»Es ist besser so.«

»Red keinen Mist«, herrschte Anawak ihn an. »Komm mir blo? nicht mit dieser Kinoschei?e, von wegen, lasst mich zuruck, kummert euch nicht um mich, blabla.« »Leon, mein Freund …« »Nein! Ich sage nein!« Aus Greywolfs Mund floss ein dunner Streifen Blut. »Leon …«

Er lachelte. Plotzlich wirkte er sehr entspannt.

Dann richtete er sich mit einem Ruck auf, rollte sich uber die Netzkante ab und sturzte in die Wellen.

Labor

Rubin verging Horen und Sehen. Das Wasser aus dem Tank toste uber ihn hinweg. Er fragte sich, was um Himmels willen passiert war in den letzten Sekunden. Alles war aus den Fugen geraten. Dann spurte er plotzlich, dass die wirbelnden Wassermassen das Regal von seinem Bein hoben, und er kam frei und tauchte prustend auf.

Gott sei Dank, dachte er. Du hast das Schlimmste uberstanden.

Fur eine richtige Uberschwemmung wurde das Wasser aus dem Simulator nicht reichen. Es war eine ganze Menge, aber sobald es sich im Raum verteilt hatte, wurde es kaum hoher als einen Meter stehen.

Er rieb sich die Augen.

Wo war Li?

Neben ihm trieb der Korper eines der Soldaten. Ein anderer stemmte sich weiter hinten benommen aus dem Wasser.

Li war fort.

Sie hatten ihn zuruckgelassen.

Fassungslos sa? Rubin im Wasser und starrte auf die verschlossene Tur. Allmahlich klarten sich seine Gedanken. Er musste hier raus. Etwas in dem Schiff war in die Luft geflogen. Wahrscheinlich sanken sie schon. Wenn er nicht innerhalb der nachsten paar Minuten hohere Gefilde erreichte, drohten ihm ernsthafte Schwierigkeiten.

Er wollte aufstehen, als es um ihn herum zu leuchten begann.

Blitze zuckten.

Schlagartig wurde ihm bewusst, dass nicht nur Wasser aus dem Tank gelangt war! Er versuchte hochzukommen, glitt aus und sturzte zuruck. Das Wasser spritzte auf. Rubin geriet mit dem Kopf unter die Oberflache, paddelte mit den Handen und spurte Widerstand.

Glatt. Beweglich.

Lichtblitze erschienen vor seinen Augen, dann bekam er plotzlich keine Luft mehr, als die Gallerte begann, sein Gesicht zu uberziehen. Wie irrsinnig zerrte Rubin daran, aber das Zeug war nicht zu packen. Er glitt daran ab, und wo er es in die Hande bekam, veranderte es augenblicklich seine Form oder loste sich einfach auf, und neues Gewebe kam hinterher.

Nein, dachte er. Nein, Nein!

Er offnete den Mund und spurte, wie das Zeug hineinkroch. Das machte ihn vollends wahnsinnig. Ein dunner Auslaufer schlangelte sich seine Speiserohre hinab, weitere drangen in seine Nasenlocher. Er wurgte, schlug wild um sich, baumte sich auf, und plotzlich begannen seine Ohren zu schmerzen. Grauenhaft war dieser Schmerz, als bohre ein unbarmherziger Folterknecht mit Messern darin herum, und ein letzter, glasklarer Gedanke sagte ihm, dass die Gallerte auf dem Weg in seinen Schadel war.

Ob es pure Neugierde oder ein gezieltes Vorhaben des Organismus war, menschliche Hirne zu untersuchen, ob er gewohnheitsma?ig seit Jahrmillionen in alles kroch, was sich seiner Ansicht nach zu untersuchen lohnte, daruber hatte sich Rubin seit dem Unfall im Welldeck pausenlos Gedanken gemacht.

Jetzt machte er sich uber gar nichts mehr Gedanken.

Greywolf

So friedlich. So ruhig.

Vanderbilt hatte das wahrscheinlich anders empfunden. Er hatte Angst gehabt. Sein Tod war grausam gewesen, und genau so hatte er sein sollen. Aber ohne Angst war es etwas vollig anderes.

Greywolf sank in die Tiefe.

Er hielt die Luft an. Trotz der schrecklichen Schmerzen in seinem Bauch wollte er so lange wie moglich die Luft anhalten. Nicht weil er glaubte, dass es sein Leben verlangern wurde. Es war ein letzter Akt des Willens, ein Akt der Kontrolle. Er wurde bestimmen, wann das Wasser in seine Lungen drang.

Licia war da unten. Alles, was er je gewollt hatte, was ihm wichtig gewesen war, befand sich unter Wasser. Eigentlich nur konsequent, dass er endlich diesen Weg ging. Es war uberfallig.

Wenn du zu Lebzeiten ein guter Mensch gewesen bist, wirst du dereinst als Orca wiedergeboren werden.