»Ich schon.«
Mu?ig, dachte Anawak. Du bist gekommen, um dich zu bedanken, du hast dich bedankt, alles andere ist obsolet. Was sitzt du hier rum? Du solltest gehen.
Aber er ging nicht.
»Okay, erklar mir bitte eines: Wenn du so viel Wert darauf legst, von deinem erwahlten Volk akzeptiert zu werden, warum versuchst du dann nicht zur Abwechslung mal, authentisch zu sein?«
»So wie du?«
Anawak zuckte zuruck.
»Lassen wir mich aus dem Spiel.«
»Wozu?«, bellte Greywolf angriffslustig. »Ich sehe eigentlich nicht ein, warum ich mir die Prugel abholen soll, die fur dich bestimmt sind.«
»Weil ich sie gerade austeile!«
Plotzlich kam die Wut wieder in ihm hoch, starker denn je. Aber diesmal hatte er keine Lust, sie mit nach Hause zu nehmen wie sonst, sie in sich einzuschlie?en, damit sie Geschwure bilden konnte. Es war zu spat. Kein Ruckzug. Er wurde sich selber in die Augen blicken mussen, und er wusste, was das bedeutete. Mit jedem Sieg, den er uber Greywolf errang, wurde er sich selber eine Niederlage beifugen.
Greywolf sah ihn unter gesenkten Lidern an. »Du bist nicht gekommen, um dich zu bedanken, Leon.«
»Doch.«
»Glaubst du? — Ja, du glaubst es tatsachlich. Aber du bist wegen was anderem hier.« Er verzog hohnisch die Mundwinkel und verschrankte die Arme. »Also, spuck’s aus. Was hast du Wichtiges zu sagen?«
»Nur eines, Jack. Du kannst dich tausendmal Greywolf nennen, du bleibst, was du bist. Es gibt Regeln, nach denen die Indianer fruher zu ihren Namen gelangten, und keine davon trifft auf dich zu. Du hast eine schone Maske da hangen, aber sie ist kein Original. Eine Falschung, genauso falsch wie dein Name. — Und noch was, deine damliche Naturschutzorganisation, ebenfalls eine Falschung.« Plotzlich sprudelte aus ihm heraus, was er gar nicht hatte sagen wollen. Nicht heute. Er war nicht hergekommen, um Greywolf zu beschimpfen, aber er konnte nicht verhindern, dass es geschah. »Dein Niveau sind Tagediebe und Halunken, die es sich auf deinen Schultern bequem machen. Merkst du nichts? Du erreichst nicht das Geringste. Deine Vorstellung vom Schutz der Wale ist kindisch. Erwahltes Volk, Blodsinn. Dein erwahltes Volk wird niemals Verstandnis fur deine Spinnereien aufbringen.«
»Wenn du es sagst.«
»Du wei?t verdammt genau, dass dein erwahltes Volk wieder Wale jagt. Du willst das verhindern. Ehrenvoll, aber offenbar hast du deinen eigenen Leuten nicht zugehort. Du wendest dich gegen das Volk, das du angeblich …«
»Quatsch, Leon. Es gibt unter den Makah reihenweise Leute, die meiner Meinung sind.«
»Schon, aber …«
»Stammesalteste, Leon! Nicht alle Indianer finden, dass eine ethnische Gruppe ihre Kultur durch rituelles Toten ausdrucken sollte. Sie sagen, die Makah sind ebenso Teil der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts wie alle anderen Bewohner Washingtons auch.«
»Das Argument ist mir bekannt«, konterte Anawak geringschatzig. »Es stammt nicht von dir und irgendwelchen Stammesaltesten, sondern aus einem Resumee der Sea Shepherd Conservation Society, einer Gesellschaft von Tierschutzern, und zwar wortlich. Du wartest nicht mal mit eigenen Argumenten auf, Jack. Mein Gott, kaum zu glauben. Du falschst sogar deine Argumente!«
»Tu ich nicht, ich …«
»Au?erdem«, fuhr ihm Anawak dazwischen, »ist es ja wohl mehr als lacherlich, ausgerechnet Davies aufs Korn zu nehmen.«
»Ah! Wir kommen der Sache schon naher. Darum bist du hier.«
»Du warst doch selber mal einer von uns, Jack. Hast du nichts gelernt? Erst Whale Watching hat den Menschen klar gemacht, dass Wale und Delphine lebend mehr wert sind als tot. Es hat den Blick der Welt auf ein Problem gelenkt, das sonst nie in diesem Ausma? offenbar geworden ware. Whale Watching ist Naturschutz! Fast zehn Millionen Menschen fahren mittlerweile jedes Jahr hinaus, um die Erfahrung zu machen, welch gro?artige Geschopfe das sind. Selbst in Japan und Norwegen wachst der Widerstand gegen den Walfang, weil wir den Menschen diese Moglichkeit bieten. Kapierst du das, kriegst du das mit? Zehn Millionen Menschen, die Wale sonst nur aus dem Fernsehen kennen wurden! Wenn uberhaupt! Unsere wissenschaftliche Arbeit, die uns in die Lage versetzt, Wale in ihrem Lebensraum zu schutzen, ware nie moglich gewesen ohne Whale Watching.«
»Hugh!«
»Warum also wir? Warum bekampfst du ausgerechnet uns? Weil du damals rausgeflogen bist?«
»Ich bin nicht rausgeflogen. Ich bin gegangen!«
»Du bist rausgeflogen!«, schrie Anawak. »Gefeuert, gehimmelt, abserviert. Du hast Mist gebaut, und Davie hat dich auf die Stra?e gesetzt. Dein beschissenes kleines Selbstbewusstsein hat das nicht verkraftet, genauso wenig, wie es Jack O’Bannon verkraftet, wenn man ihm die Haare schneidet und ihm die Lederklamotten und den lappischen Namen wegnimmt. Deine ganze Ideologie beruht auf Missverstandnissen und Falschungen, Jack. Alles an dir ist eine Falschung. Du bist eine Null, ein Nichts. Du produzierst nur Schei?e! Du schadest dem Naturschutz, du schadest den Nootka, du bist nirgendwo zu Hause, nirgendwo heimisch, du bist kein Ire und kein Indianer, das ist dein verdammtes Problem, und es macht mich krank, dass wir uns damit herumschlagen mussen, als hatten wir keine anderen Sorgen!«
»Leon …«, sagte Greywolf mit schmalen Lippen.
»Es macht mich krank, dich so zu sehen.«
Greywolf stand auf. »Leon, halt den Mund. Es reicht.«
»Es reicht noch lange nicht. Zum Teufel, du konntest so viel Sinnvolles tun, du bist ein Berg voller Muskeln, blode bist du auch nicht, also was …«
»Leon, halt endlich die Schnauze!«
Greywolf kam um den Tisch auf ihn zu, mit Riesenschritten, die Fauste geballt. Anawak sah zu ihm hoch. Er fragte sich, ob ihn schon der erste Schlag ins Reich der Traume befordern wurde. Greywolf hatte dem Touristen damals den Kiefer gebrochen. Ganz sicher wurde ihn seine vorlaute Klappe ein paar Zahne kosten.
Aber Greywolf schlug nicht zu. Stattdessen stemmte er beide Hande auf die Lehnen von Anawaks Sessel und beugte sich uber ihn. »Du willst wissen, warum ich mir dieses Leben ausgesucht habe? Willst du’s wirklich wissen?«
Anawak starrte ihn an. »Nur zu.«
»Nein, das willst du namlich nicht, du selbstgerechtes kleines Arschloch.«
»Doch. Du hast nur nichts zu sagen.«
»Du …« Greywolfs Kiefer mahlten. »Verdammter Idiot. Ja, ich bin unter anderem auch Ire, aber in Irland war ich nie. Meine Mutter ist zur Halfte Suquamish. Sie ist weder von den einheimischen Wei?en noch von den Indianern richtig akzeptiert worden, also hat sie einen Einwanderer geheiratet, und der wurde auch von keinem akzeptiert.«
»Ruhrend. Das hast du mir schon mal erzahlt. Erzahl mir was Neues.«
»Nein, ich werde dir einfach die Wahrheit erzahlen, und du horst gefalligst zu! Du hast Recht, ich werde kein Indianer, wenn ich wie einer rumlaufe. Ich wurde aber auch kein Ire, wenn ich anfinge, literweise Guinness zu saufen, und ein stinknormaler wei?er Amerikaner schon gar nicht, blo? weil wir in unserer Familie auch so was haben. Ich bin nicht authentisch. Ich gehore nirgendwo richtig dazu, und wei?t du was? Ich — kann — es — verdammt — nochmal — nicht — andern!«
Seine Augen blitzten. »Du musstest nur den Arsch hochkriegen und konntest was andern. Du musstest einfach nur deine Geschichte umdrehen. Ich hatte nie die Moglichkeit, meine Geschichte umzudrehen.«
»Schwachsinn!«
»Oh, sicher, ich hatte mich benehmen und was Anstandiges lernen konnen. Wir leben in einer offenen Gesellschaft. Niemand fragt danach, woraus du zusammengesetzt bist, wenn du Erfolg hast, aber ich hatte keinen. Es gibt ethnisch Zusammengeflickte, die haben das Beste aus allen Welten mitbekommen. Die sind uberall zu Hause. Meine Eltern sind einfache, verunsicherte Leute. Sie haben es nie verstanden, ihrem Sohn so etwas wie Selbstbewusstsein und Zugehorigkeit zu vermitteln. Sie fuhlten sich entwurzelt und missverstanden, und ich habe das Schlechteste aus allen Welten mitbekommen! Alles ist misslungen, und das Einzige, was geklappt hat, ist auch misslungen!«