19. Abenteuer
Wie der Nibelungenhort nach Worms kam
Als die edle Kriemhild so verwitwet ward,
Verblieb bei ihr im Lande der Markgraf Eckewart
Mit seinem Ingesinde: Er dient' ihr zu allen Tagen
Und half auch seiner Frauen seinen Herren oft beklagen. (1133)
Zu Wormes bei dem Munster gab man ihr ein Schloss,
Weit und geraumig, reich dazu und gro?,
Worin mit dem Gesinde die Freudenlose sa?.
Gern ging sie zur Kirche, mit gro?er Andacht tat sie das. (1134)
Wo ihr Freund begraben lag, wie flei?ig ging sie hin!
Sie tat es alle Tage mit traurigem Sinn,
Und bat dass Gott der gute seiner Seele moge pflegen:
Gar oft beweint wurde mit gro?er Treue der Degen. (1135)
Ute und ihr Gesinde sprachen ihr immer zu,
Und doch im wunden Herzen fand sie so wenig Ruh,
Es konnte nicht verfangen der Trost den man ihr bot.
Sie hatte nach dem Teuern die allergro?este Not, (1136)
Die nach dem lieben Manne je ein Weib gewann:
Ihre gro?e Tugend mochte man erkennen wohl daran.
Sie klagt' ihn bis zu Ende, bis sie verlor den Leib:
Bald rachte sich gewaltig des kuhnen Siegfriedes Weib. (1137)
Sie sa? nach ihrem Leide, das ist alles wahr,
Nach ihres Mannes Tode bis an das vierte Jahr
Und hatte nie zu Gunthern gesprochen einen Laut,
Und ihren Feind Hagen in all der Zeit nicht erschaut. (1138)
Da sprach von Tronje Hagen: “Konnte das geschehn,
Dass ihr eure Schwester euch hold mochtet sehn,
So kam zu diesem Lande der Nibelungen Gold:
Des mogt ihr viel gewinnen, wird uns die Konigin hold.” (1139)
Er sprach: “Man solls versuchen: Meine Bruder stehn ihr bei,
Die sollen fur uns werben, dass sie uns freundlich sei,
Wenn wir den Hort gewinnen, dass sie das gerne sieht.”
“Ich glaube nicht,” sprach Hagen, “dass es jemals geschieht.” (1140)
Da hat er Ortweinen an den Hof zu gehn
Und den Markgraf Gere: Als das war geschehn
Rief man auch Gernoten und Geiselhern das Kind:
Da versuchten bei Kriemhilden sie es freundlich und gelind. (1141)
Da sprach von Burgonden der kuhne Gernot:
“Ihr klagt zu lange, Fraue, um Siegfriedens Tod.
Der Konig will euch zeigen, er hab ihn nicht erschlagen;
Man hort zu allen Zeiten euch so heftig um ihn klagen.” (1142)
Sie sprach: “Des zeiht ihn niemand, ihn schlug Hagens Hand:
Wo er verwundbar ware, macht ich ihm bekannt.
Wie konnt ich michs versehen, er trug ihm solchen Hass!
Ich hatte wohl vermieden,” so sprach die Konigin, “das. (1143)
“Hatt ich nicht vermeldet seinen schonen Leib,
So lie? ich nun mein Weinen, ich unselig Weib!
Hold werd ich denen nimmer, die das an ihm getan!”
Da begann zu flehen Geiselher, dieser waidliche Mann. (1144)
* Sie sprach: “Ich muss ihn gru?en, ihr liegt zu sehr mir an.
Von euch ists gro?e Sunde: Er hat mir angetan
So viel Herzensschwere ganz ohne meine Schuld:
Mein Mund schenkt ihm Verzeihung, mein Herz ihm nimmer die Huld.” (1145)
* “Nun wird es besser werden,” ihre Freunde sprachen so.
“Vielleicht wirds ihm gelingen, dass sie noch werde froh.
Er mags ihr wohl ersetzen,” sprach Gerenot.
Da sprach die Jammersreiche: “Ich tu nach euerm Gebet: (1146)
Ich will den Konig gru?en.” Als er das vernahm,
Mit seinen besten Freunden der Konig zu ihr kam.
Da wagte doch Herr Hagen sich nicht zu ihr heran:
Er kannte seine Schuld wohl, er hatt ihr Leides getan. (1147)
Als sie verschmerzen wollte auf Gunther den Hass,
Dass er sie kussen sollte, wohl ziemte sich ihm das,
War ihr mit seinem Willen das Ubel nicht geschehn;
So durft er dreistes Mutes immer zu Kriemhilden gehn. (1148)
Es ward mit solchen Tranen nie eine Suhne mehr
Gestiftet unter Freunden: Sie schmerzt' ihr Schaden sehr;
Doch verzieh sie allen bis auf den einen Mann:
Erschlagen hatt ihn niemand, hatt es Hagen nicht getan. (1149)
Darauf nicht lange wahrt' es, so stellten sie es an,
Dass Kriemhild die Fraue den gro?en Hort gewann
Vom Nibelungenlande und bracht ihn an den Rhein:
Ihre Morgengabe war es und musst ihr billig eigen sein. (1150)
Nach diesem fuhr da Geiselher und auch Gernot.
Achtzighundert Mannen Frau Kriemhild gebot
Dass sie ihn holen sollten, wo er verborgen lag
Und sein der Degen Alberich mit seinen besten Freunden pflag. (1151)
Als man des Schatzes willen vom Rhein sie kommen sah,
Alberich der Kuhne sprach zu den Freunden da:
“Wir durfen ihr wohl billig den Hort nicht entziehn,
Da sein als Morgengabe heischt die edle Konigin. (1152)
“Dennoch sollt es nimmer,” sprach Alberich, “geschehn,
Mussten wir nicht leider fur uns verloren sehn
Mitsamt Siegfrieden den guten Nebelhut,
Den immer hat getragen Kriemhilds Gemahl, der Degen gut. (1153)
“Nun ist es Siegfrieden leider schlimm bekommen,
Dass uns die Tarnkappe der Held hat genommen,
Und dass ihm dienen musste dieses ganze Land.”
Hin ging der Kammerhuter, wo er des Hortes Schlussel fand. (1154)
Da standen vor dem Berge die Kriemhild gesandt
Und mancher ihrer Freunde: Man lie? den Schatz zur Hand
Zu dem Meere bringen an die guten Schiffelein
Und fuhrt' ihn auf den Wellen bis zu Berg auf den Rhein. (1155)
Nun mogt ihr von dem Horte Wunder horen sagen:
Zwolf Doppelwagen konnten ihn kaum von dannen tragen
In der Tag und Nachte vieren aus des Berges Schacht,
Und hatten sie den Weg auch des Tages dreimal gemacht. (1156)
Es war auch nichts anders als Gestein und Gold.
Und hatte man die Erde erkauft mit diesem Gold,
Um keine Mark vermindert hatt es seinen Wert.
Wohl hatte sein mit Unrecht der Degen Hagen nicht begehrt. (1157)
Der Wunsch der lag darunter, ein goldnes Rutelein:
Wer das erkundet hatte, der mochte Meister sein
Auf der weiten Erde wohl uber jeden Mann.
Von Albrichs Freunden schlossen Gernoten viele sich an. (1158)
* Als sich Gernot der Degen und der junge Geiselher
Des Hortes unterwanden, da wurden sie auch Herr
Des Landes und der Burgen und der Recken wohlgestalt:
Die mussten ihnen dienen zumal durch Furcht und Gewalt. (1159)
Als sie den Hort gewannen in Konig Gunthers Land,
Und sich darob die Konigin der Herrschaft unterwand,
Die Kammern und die Turme, die wurden voll getragen.
Man horte nie von Schatzen so gro?e Wunder wieder sagen. (1160)
Und waren auch die Schatze noch gro?er tausendmal,
Und war der Degen Siegfried erstanden von dem Fall,
Gern war bei ihm Kriemhilde geblieben hemdeblo?.
Nie war zu einem Helden eines Weibes Treue so gro?. (1161)
Als sie den Hort nun hatte, da bracht er in das Land
Viel der fremden Recken: Wohl gab der Frauen Hand,
Dass man so gro?e Milde nie zuvor gesehn.
sie ubte hohe Tugend: Das musste man ihr zugestehn. (1162)
Den Armen und den Reichen zu geben sie begann.
Hagen sprach zum Konig: “Lasst man sie so fortan
Noch eine Weile leben, so wird sie in ihr Lehn
So manchen Degen bringen, dass es uns ubel muss ergehn.” (1163)
Da sprach Konig Gunther: “Ihr gehort das Gut:
Wie darf er mich bekummern, was sie damit tut?
Ich konnt es kaum erlangen, dass sie mir wurde hold;
Nicht frag ich, wie sie teilet ihr Gestein und rotes Gold.” (1164)
Hagen sprach zum Konig: “Es vertraut ein kluger Mann
Solche Schatze nimmer einer Frauen an:
Sie bringts mit ihren Gaben wohl noch an den Tag,
Da es sehr gereuen die kuhnen Burgonden mag.” (1165)
Da sprach Konig Gunther: “Ich schwur ihr einen Eid,
Dass ich ihr nimmer wieder fugen wollt ein Leid
Und will es kunftig meiden: Sie ist die Schwester mein.”
Da sprach wieder Hagen: “Lasst mich den Schuldigen sein.” (1166)
Sie nahmen ihre Eide meistens schlecht in Hut:
Da raubten sie der Witwe das machtige Gut.
Hagen aller Schlussel dazu sich unterwand;
Ihr Bruder Gernot zurnte, als ihm das wurde bekannt. (1167)
Da sprach der junge Geiselher: “Viel Leides ist geschehn
Durch Hagen meiner Schwester: Dem sollt ich widerstehn:
War er nicht mein Vetter, es ging' ihm an den Leib.”
Wieder neues Weinen begann da Siegfriedens Weib. (1168)
Im Unmut sprach da Gernot: “Eh wir solche Pein
Mit diesem Golde litten, wir solltens in den Rhein
Allzumal versenken: So hort es niemand an.”
Sie kam mit Klaggebarde da zu Geiselher heran. (1169)
Sie sprach: “Lieber Bruder, du sollst gedenken mein,
Des Lebens und des Gutes sollst du ein Vogt mir sein.”
Da sprach er zu der Fraue: “Wohl, es soll geschehn,
Wenn wir wiederkommen: Eine Fahrt ist zu bestehn.” (1170)
Gunther und seine Freunde raumten da das Land.
Die allerbesten drunter, die man irgend fand.
Hagen nur alleine verblieb um seinen Hass,
Den er Kriemhilden hegte: zu ihrem Schaden tat er das. (1171)
Eh der reiche Konig wieder war gekommen,
Derweilen hatte Hagen den ganzen Schatz genommen:
Er lie? ihn dort bei Lochheim versenken in den Rhein.
Er wahnt', er sollt ihn nutzen; das aber konnte nicht sein. (1172)
Die Fursten kamen wieder, mit ihnen mancher Mann.
Kriemhild den gro?en Schaden zu klagen da begann
Mit Magdlein und Frauen: Sie hatten Herzeleid.
Gern war ihnen Geiselher zu aller Treue bereit. (1173)
Da sprachen sie einhellig: “Er hat nicht wohlgetan.”
Bis er zu Freunden wieder die Fursten sich gewann
Entwich er ihrem Zorne: Sie lie?en ihn genesen.
Da konnt ihm Kriemhilde wohl nicht feinder sein gewesen. (1174)
Bevor von Tronje Hagen den Schatz also verbarg,
Da hatten sie's beschworen mit Eiden hoch und stark,
Dass er verhohlen bliebe so lang sie mochten leben:
So konnten sie ihn nicht nutzen noch ihn jemand anders geben. (1175)
Mit neuem Leide wieder belastet war ihr Mut,
Erst um des Mannes Leben und nun da sie das Gut
Ihr so gar benahmen: Da ruht' auch ihre Klage
So lange sie lebte nimmer bis zu ihrem jungsten Tage. (1176)
Nach Siegfriedens Tode, das ist alles wahr,
Lebte sie im Leide wohl dreizehn Jahr,
Dass ihr der Tod des Recken stets im Sinne lag:
Sie war ihm je getreue; das ruhmen ihr die Meisten nach. (1177)
* Eine reiche Furstenabtei stiftete Ute
Nach Dankratens Tode von ihrem Gute,
Mit gro?en Einkunften, die es noch heute zieht,
Dort zu Lorsch das Kloster, das man in hohen Ehren sieht. (1178)
* Dazu gab auch Kriemhilde hernach ein gro?es Teil,
Um Siegfriedens Seele und aller Seelen Heil,
Gold und Edelsteine mit williger Hand;
Getreuer Weib auf Erden ward uns selten noch bekannt. (1179)
* Seit Kriemhild Konig Gunthern hold ward wie zuvor,
Und doch den gro?en Hort dann durch seine Schuld verlor,
Ihres Herzeleides wurde da noch mehr:
Da zoge gern von dannen die Fraue edel und hehr. (1180)
* Nun war Frau Uten ein Sedelhof bereit
Zu Lorsch bei ihrem Kloster, reich, gro? und weit,
Dahin von ihren Kindern sie zog und sich verbarg,
Wo noch die hehre Konigin begraben liegt in einem Sarg. (1181)
* Da sprach die Konigswitwe: “Liebe Tochter mein,
Hier magst du nicht verbleiben: Bei mir denn sollst du sein
Zu Lorsch in meinem Hause und lasst dein Weinen dann.”
Kriemhilde gab ihr Antwort: “Wo lie? ich aber meinen Mann?” (1182)
* “Den lass nur dort verbleiben,” sprach Frau Ute.
“Nicht woll es Gott vom Himmel,” sprach die Gute.
“Meine liebe Mutter, davor will ich mich wahren,
Nein, er muss von hinnen in Wahrheit auch mit mir fahren.” (1183)
* Da schuf die Jammersreiche, dass man ihn erhub
Und sein Gebein, das edle, wiederum begrub
Zu Lorsch bei dem Munster, mit Ehren mannigfalt:
Da liegt im langen Sarge noch der Degen wohlgestalt. (1184)
* Zu denselben Zeiten, da Kriemhild gesollt
Zu ihrer Mutter ziehen, wohin sie auch gewollt,
Da musste sie verbleiben, weil es nicht sollte sein:
Das schufen neue Maren, die da kamen uber Rhein. (1185)